Schneemond (German Edition)
Gott!«, flüsterte er nur. »Oh mein Gott!«
Goran wusste, dass sie auf der richtigen Spur waren. Diese schwachsinnigen Idioten, die ihn begleiteten – hervorragend ausgerüstet zwar, doch nichts in der Birne – hatten immer wieder versucht, ihm auszureden, dass sie hier richtig wären. Doch Goran
wusste
es. Er glaubte nicht, dass er richtig lag. Glaube war etwas für Opfer. Er wusste es mit unumstößlicher Sicherheit.
Er hatte schließlich an einem der Kerle ein Exempel statuieren müssen, um ein für alle mal klar zu machen, wer hier das Sagen hatte. Dieser Auserwählte dümpelte jetzt, Kopf unter, in der Spree. Aber die Motivation der anderen Teilnehmer an ihrem kleinen Ausflug war schlagartig gestiegen. Langsam schob er sich um die Ecke des Gebäudes und blickte die kaum beleuchtete, schmale Straße hinunter. Er erkannte die Toreinfahrt nur schemenhaft und doch grinste er verschlagen. Sie kamen ihrem Ziel immer näher.
Das passt zu Dir,
dachte er bei sich,
ein gottverdammtes Rattenloch.
Moore konnte nicht glauben, was er da vor sich liegen sah. Die älteste der Akten stammte aus dem Jahre 1835 und beschrieb einen Mordfall an zwei Frauen, in den italienischen Alpen, nahe Bozen. Die Untersuchungen wurden anfangs von den örtlichen Carabinieri durchgeführt, dann jedoch sehr schnell vom heiligen Stuhl übernommen. Die Ähnlichkeiten mit dem Corden-Marno-Fall waren unübersehbar.
Moore blätterte weiter.
1887 Deutsch-Südwestafrika, 1912 Kolumbien, 1961 China, nahe der tibetischen Grenze und 1993 Malaysia. Er blätterte weiter und weiter. Er konnte es einfach nicht glauben was er da sah.
»Das ist doch nicht möglich«, flehte er Markow beinahe an.
Ohne ein Wort zu sagen, legte Markow eine weitere Akte auf den Tisch und Moore wusste bereits bevor er sie öffnete, was sie enthielt. Und doch griff seine Hand, fast ohne sein Zutun, nach dem Aktendeckel und schlug ihn zurück. Vor ihm lagen die unverfälschten Unterlagen zum Corden-Marno-Fall. Und alle Ergebnisse, alle Feststellungen und alle Absonderlichkeiten wiederholten sich hier, wie bei den fünf anderen Fällen.
»Es sind alles Frauen!«, sagte er plötzlich laut und sah Markow fragend an.
»Ja«, bestätigte ihm dieser. »Es waren immer Frauen. Die reine Blutlinie verläuft immer von der Mutter zur Tochter – auch wenn uns Männern das hundertmal nicht passt.«
Er lachte kichernd, wie über einen guten Scherz.
Moore schüttelte den Kopf, als könnte er so diesen Wahnsinn, der da aufihn hereinbrach, loswerden. Und langsam traten Tränen in seine Augen. Tränen der Trauer um Karen, Frank und all diese Frauen. Tränen der Wut über seine Ohnmacht, die ihm mit einer brutalen Unumstößlichkeit bewusst wurde. Und nicht zuletzt Tränen der Erkenntnis, über die vielen falschen Entscheidungen die er in seinem Leben getroffen hatte. Denn eines sah er hier und jetzt ganz klar: Markow hatte recht, mit allem was er gesagt hatte, auch in Bezug auf ihn selbst. Und damit war Samuel Moore an einem Wendepunkt seines Lebens angekommen. Und der Saulus war endlich bereit, den Paulus in ihm anzunehmen.
Langsam streifte Goran den Handschuh ab und legte die Hand auf die Motorhaube des Golf. Noch leicht warm.
Er bleckte die Zähne in einem wölfischen Grinsen und ließ mit einigen Handzeichen seine Leute in dem dunklen Innenhof ausschwärmen. Die meisten von ihnen trugen Nachtsichtvisiere, doch er brauchte so etwas nicht. Er wusste genau, wohin er sich wenden musste. Er konnte die Aura, die von Moore ausging fühlen, wie ein ständiges, leises Vibrieren. Er konnte alle anderen, in weitem Umkreis um sich herum, ebenso spüren. Seine Mannschaft, die ohne einen Laut vorrückte. Ein paar Penner, die irgendwo in den oberen Stockwerken der verlassenen Wohnungen ihren Rausch ausschliefen. Einige Familien und Paare, die noch immer in dieser heruntergekommenen Gegend hausten.
Und Moore mit seinem Begleiter, dort unten im Keller.
Er spürte sie alle, doch in Moore’s Seele hatten sich seine schwarzen Gedanken regelrecht verbissen. Alle waren auf ihren vorgesehenen Posten und während der Regen langsam in Schnee überging, bewegte sich Goran, langsam und geschmeidig, wie eine Raubkatze auf den Kellerabgang zu.
»Was sollen wir jetzt tun, Mr. Markow?«, presste Moore zwischen seinen Tränen hervor.
»Angus.«, entgegnete ihm der Alte. »Mein Name ist Angus, Samuel.«
»Ok. Angus. Aber kein Mensch sagt
Samuel
zu mir.«
Markow zog die Augenbrauen hoch.
»Aber das ist doch
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