Schneemond (German Edition)
verlieren. Und wenn diese Reise von ihnen gefordert wurde, dann war es eben so. Wer wusste schon, was die Geister mit einem vorhatten. Und Sar würde sie führen. So war es bestimmt!
Langsam verschwanden die Letzten seines Clans am Horizont, schon lange außerhalb der Reichweite seiner blinden, alten Augen und dem alten Schamanen wurde klar, dass er nun alleine war.
Doch dies war kein Grund zu trauern. Ganz im Gegenteil. Lächelnd saß der alte Mann auf seinem Stein vor der Höhle, der Platz, wo er so viele Stunden verbracht hatte und fühlte sich gesegnet. Er hatte Sar erkannt. Nicht nur, dass sie seinen Platz im Clan eingenommen hatte und ihn als neue Schamanin führen würde. Nein, er hatte ihre wahre Größe erkannt. Er hatte den langen Weg gespürt, den sie vor sich hatte und Ehrfurcht hatte ihn ergriffen, vor der Bürde, die auf ihren zarten Schultern lag. Und er war stolz, unendlich stolz darauf, dass sie ein Kind seiner Sippe war.
Und lächelnd und erfüllt von diesem Stolz, sang er seinem nahenden Tod entgegen, der ihm Tor zur nächsten Welt sein würde.
Sar, das kleine Mädchen, die Sar, die sie gewesen war, war am letzten, erloschenen Feuer des alten Schamanen zurückgeblieben. Mit dem Aufbruch zu dieser Reise in die Ungewissheit war ihre Kindheit von ihr abgefallen und sie war zu dem geworden, was sie nun war - Mittlerin zwischen den Geistern und den Menschen ihres Clans. Sie hatte ihre Verpflichtung und Verantwortung angenommen und die Bürde des unbegrenzten Vertrauens, das die Männer, Frauen und Kinder ihrer Sippe ihr entgegenbrachten, geschultert. Nor-ga war nach wie vor ihr Häuptling, befähigt durch Umsicht und Erfahrung. Doch das Schicksal des Clans lag nun in ihrer Hand. Die ersten Tage hatte sie immer wieder Angst beschlichen. Angst, ihre Träume nicht richtig zu deuten. Angst, die Ihren ins Verderben zu führen. Und Angst, vor dem Leben, das vor ihr lag. Doch wenn sie die Augen schloss, konnte sie die Stimmen ihrer sechs Gefährtinnen hören, leise wie der Morgenwind. Und sie spürte die Kraft des Bundes, die ihr Leben erfüllte.
Und mit jedem Tag ihrer Reise, wurde Sar eines immer klarer: Hinter all dem Wirken der Geister, die sie führten und leiteten, stand eine große Macht. Jeder Sonnenstrahl und jeder Regentropfen, der fiel, jedes Wild und jede Frucht, die sie ernährten, jeder wohl gelenkte Speer und jeder kunstvolle Schlag auf den Feuerstein, ja, jeder Schritt in dieser Welt und jeder Atemzug liefen an einem einzigen Punkt zusammen. Alles Sichtbare und Unsichtbare war Ausdruck SEINES Wirkens!
Ein Geist und ein Gott!
Als Sar dieses offensichtliche Geheimnis erkannt hatte, verneigte sie sich voller Ehrfurcht vor dieser alles umfassenden, alles durchdringenden, machtvollen Güte und unterwarf sich bedingungslos seiner Führung.
Für die Leute ihres Clans, war sie schon nach kurzer Zeit die beste Schamanin, die sie je hatten. Waren sie am Beginn der Reise noch unsicher und voller Furcht gewesen, was sie wohl erwarten mochte, so war diese Furcht schon nach wenigen Tagen einer freudigen Erwartung gewichen, ob dieser neuen Länder, in die Sar sie führte. Zwar war ihre Wanderung voller Strapazen und Mühsal, doch mangelte es ihnen letztlich an nichts.Immer fanden sie eine kleine Quelle, um zu trinken und ihre Wasservorräte zu ergänzen. Immer erlegten sie genügend Wild und fanden genügend Früchte, um nicht hungern zu müssen.
Und so zogen sie zuerst Nordwärts, immer weiter, Tage- und Wochenlang. Vorbei an den Ufern eines Mittelmeeres, das ausgedünnt war und dessen Wasser gebunden waren in den mächtigen Eiskappen, hoch oben im Norden. Sie zogen weiter durch die fruchtbaren Lande zwischen Euphrat und Tigris und kamen schließlich zu der Landbrücke des Bosporus, die, noch nicht überflutet, wie ein mächtiger Wall aufragte zwischen den Wassern des Mittelmeeres auf der einen und des Schwarzmeeres auf der anderen Seite. Langsam wurde das Klima rauer und kälter, als sie sich nach Nordwesten wandten und hinaufzogen, entlang eines großen, breiten Stromes, der einst den Namen Donau tragen würde.
Die Reise wurde beschwerlicher und sie kamen langsamer voran. Hier trafen sie auch das erste Mal auf andere Menschen.
Doch diese Anderen waren nicht von ihrem Schlag. Sie waren kleiner, gedrungener und kräftiger gebaut, als die Menschen des Clans. Ihre Gesichter waren breiter und knochiger und ein mächtiger Wulst über den Augen ließ sie fast schon bedrohlich wirken. Die Menschen des
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