Schneemond (German Edition)
Lichtung vor dem Hang unter der Höhle.
Einige Minuten lang standen sich die beiden Gruppen unsicher und nervös gegenüber, bis sich Sar von Ihrer Sippe löste und auf ein Mädchen in ihrem Alter, das zwischen den Anderen stand, zulief. Das andere Mädchen tat ebenfalls einige Schritte aus ihrer Gruppe heraus, auf Sar zu und nach einem kurzen Augenblick des Zweifelns fielen sich Sar und die Andere in die Arme.
Eine weitere der Sieben des Bundes hatte den Weg zu diesem Ort gefunden!
Als die Menschen der beiden Stämme erkannten, was da vor ihren Augen geschah, löste sich auch ihre Spannung und freudig und hoffnungsvoll gingen sie aufeinander zu und begrüßten sich.
Nun dauerte es nur wenige weitere Wochen, bis Eine um die Andere der Sieben, immer mit einigen wenigen Leuten ihrer Sippe, bei ihnen eintraf. Und so zählte die Gruppe, die sich auf der Lichtung eingefunden hatte bald annähernd zweihundert Köpfe – ein Stamm, so groß, wie ihn bisher noch keiner von ihnen gesehen hatte. Doch trotz dieser großen Anzahl von Menschen organisierte man sich erstaunlich schnell. Zwar stellte die Sprache anfangs ein Hindernis dar, doch nach und nach verstanden sich die Mitglieder dieser großen Gemeinschaft immer besser.
Doch nicht nur Sar fiel auf, dass nur sie mit ihrer ganzen Sippe hierher gezogen war. Die anderen Mädchen hatten sich jeweils nur mit einigen wenigen ihres Stammes auf den Weg gemacht. Und ohne es auszusprechen, wussten die Sieben was das bedeutete. Sie waren hier zusammengeführt worden, um ihren Bund in der realen Welt zu erneuern und zu bestärken – hier in der heiligen Höhle tief im Berg, die erfüllt war von der Magie des Lebens und der Liebe, und die bisher nur Sar betreten hatte. Doch für Sar’s sechs Gefährtinnen bedeutete dies nur einen zeitlich begrenzter Aufenthalt. Sie würden nach der Zeremonie nach Hause ziehen, zurück zu ihren Sippen, die sie verlassen hatten.
Aber für Sar und die Ihren gab es kein Zurück. Sie waren hierher gekommen, um den Bund zu stärken – und diesen heiligen Ort zu bewahren.
Und so riefen die Sieben eines Abends alle Menschen ihrer Gemeinschaft zusammen und erzählten ihnen die Geschichte des Bundes und wohin sie dieser Weg alle führen würde. Und die Männer und Frauen und Kinder saßen um das große Feuer, das entfacht worden war und lauschten den Geschichten der Sieben, voller Staunen und Ehrfurcht. Und in dieser Nacht wuchsen die Menschen auf der Lichtung zu einem neuen Clan zusammen – einem Clan der Eingeweihten, der Wissenden.
Zwei Tage später teilten die Sieben den Häuptlingen, die sich mittlerweile in einem losen Rat um Nor-ga zusammengeschlossen hatten, mit, dass der Zeitpunkt ihrer großen Zeremonie gekommen sei und sie auf unbestimmte Zeit in die Ritualhöhle hinuntersteigen würden. Die Häuptlinge des Rates nickten verstehend und ließen die Mädchen ziehen. Sar und ihre Gefährtinnen durchquerten unter den Augen der Gemeinschaft die Wohnhöhle, die ihnen allen zur Heimat geworden war und zogen weiter zu dem Geröllhang, der den Eingang zur Ritualhöhle markierte. Hier legten sie die spärlichen Kleidungsstücke ab, die sie trugen und begannen, Sar voran, den gewundenen Pfad in die Höhle hinunter zu steigen. Sie gingen in völliger Dunkelheit. Doch keine stieß sich oder strauchelte, denn sie waren die Sieben und eine mächtige und alles durchdringende Energie wallte durch ihre Körper und Seelen und sie konnten jeden Fels, jeden Stein und jedes Sandkorn spüren, als würde es im strahlenden Sonnenlicht vor ihnen liegen. Unten angekommen gingen sie in die Mitte der Höhle und ließen sich im Kreis nieder und eine Jede fand mit schlafwandlerischer Sicherheit ihren Platz. Als sie schließlich zur Ruhe gekommen waren, fühlten sie diemächtige Kraft, die diesen Ort erfüllte und die sie umschloss, wie der Schoß der Mutter das Kind. Und dann streckte Sar ihre Arme aus, bis sie die Hände der Mädchen neben sich in ihren Händen spürte und sie hob an zu einem Gesang voller Magie, in den ihre Gefährtinnen nach und nach einfielen und die Welt begann sich zu verändern!
Der Gesang der Sieben flocht ein wundervolles Muster in Raum und Zeit und ein kaum wahrnehmbares, tiefblaues Strahlen durchdrang die Finsternis. Wände Boden und Dach der Höhle schienen zu zerfließen und gerannen schließlich in perfekter Symmetrie und in wahrer Schönheit. Doch dies war nicht die Traumwelt, in der sich die Sieben gefunden hatten. Dieser Ort war anders!
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