Schneenockerleklat
Kopf. »Es müssen unbedingt Schneenockerln sein!«
»Schneenockerln?« Palinski schwante Schreckliches.
»Gibt es keine Möglichkeit, Schneenockerln extra zubereiten zu lassen?
Sozusagen als Super-à-la-carte-Angebot.« Er blickte den Ober mit seinem bewährten
treuen Dackelblick an. »Sie würden mir einen Riesengefallen damit tun!«
»Tja«, der Ober zuckte mit den Achseln, »keine Ahnung. Das
kann ich nicht entscheiden!« Er blickte Eberheim fragend an.
»Wissen Sie, Herr Palinski«, dem Generaldirektor
schien das, was er sagen wollte, irgendwie unangenehm zu sein, »was das Problem
ist? Unser Pâtissier hat sich vorige Woche das Bein gebrochen. Ich stehe ohne
Mann fürs Süße da. Das ist bedauerlich, aber wahr.«
»Aber ich habe dem Russen nun einmal Schneenockerln versprochen.
Das war vielleicht etwas voreilig«, räumte Palinski ein. »Aber wer denkt denn
schon daran, dass in der Küche des ›Semmering Grand‹ niemand ist, der
Schneenockerln machen kann!«
Diese nicht ganz unbegründete Frage schien
Eberheim unter die Haut gegangen zu sein. »Fragen Sie doch in der Küche nach,
ob nicht irgendjemand Schneenockerln machen kann, Fritz«, wies er den Ober an.
»Für ein Haus unserer Reputation ist es ja wirklich unvorstellbar, dass man
keine Schneenockerln bekommen kann. Das kann doch keine Hexerei sein. Immerhin
sind Schneenockerln keine wirklich ausgefallene Mehlspeis.«
»In Ordnung, Chef«, bestätigte Fritz. »Aber was mache ich,
wenn das nichts bringt?«
»Dann versuchen Sie es einmal mit Kastanienreis«, empfahl
Palinski, »oder gibts den auch nicht?«
»Kastanienreis ist natürlich da«, meldete der Ober. »Hoffe
ich zumindest!«, fügte er, schon im Gehen, leise hinzu. Aber das hatten die
anderen nicht mehr gehört.
*
Im Festsaal ging die engagierte, teilweise sogar
heftige Diskussion langsam, aber sicher in die Endrunde. Es war erstaunlich,
dass sich Menschen über ein vergleichsweise so nichtiges Thema wie Krimis und
ihre weiteren Verwertungen derart engagiert erhitzen konnten. Einige kritische
Krimifans hatten gerade den Regisseur Paul Petzke und den Drehbuchautor Dietmar
Rabenbach heftig ins Gebet genommen.
Sie warfen den beiden vehement krasse Unglaubwürdigkeiten in
ihrem letzten TV-Dreiteiler ›Luzifers Erben‹ vor. Und Palinski, kurz im
Festsaal erschienen, um nach dem Rechten zu sehen, musste ihnen zustimmen. Auch
er hatte den Film gesehen und sich darüber geärgert.
Die wesentlichen handelnden Personen agierten einerseits alle
in Wien. Natürlich auch der Kommissar.
Gewohnt oder zumindest sich hauptsächlich aufgehalten wurde
allerdings in einem schlossähnlichen Landhaus an einem der bekanntesten
Kärntner Seen. Hier passierte auch der erste Mord.
Und siehe da, die Kriminalpolizei eilte nicht aus Klagenfurt
herbei, um das Verbrechen zu untersuchen. Nein, sie kam aus Wien.
Warum das so war, war am Anfang des Opus ein einziges Mal
ganz kurz erklärt worden: Die Familie des Mordopfers wäre so prominent, dass
eine (immerhin aus zwei Personen bestehende) Sonderkommission eingesetzt worden
war, die bis zur letzten der insgesamt 265 Minuten, die einem das Machwerk an
Zeit stahl, ständig zwischen Wien und Kärnten unterwegs war.
Und das innerhalb kürzester Zeit, denn die mindestens 300
Kilometer lange Strecke wurde pro Tag locker drei bis vier Mal zurückgelegt.
Und das nicht auf der mehr oder weniger verstauten Südautobahn, wie man auch
als nur oberflächlicher Kenner der österreichischen Verhältnisse annehmen
müsste. Nein, sondern auf romantischen zweispurigen Landstraßen ohne jeden
Verkehr und im strahlenden Sonnenschein.
Bitte, der Vorwurf des Zeitdiebstahls war sicher zu hart,
immerhin hatte man ja die Option des Ausknopfs.
Und dennoch: Dass angesichts solch unglaubwürdiger
Rahmenbedingungen und der absoluten Negierung der föderalistischen Struktur des
Landes bei etwas kritischeren Zusehern keine rechte Freude mit dem Dreiteiler
aufgekommen war, war nachvollziehbar. Fand nicht nur Palinski. Und das trotz
der grundsätzlich nicht uninteressanten Story, die dem Ganzen zugrunde lag.
Wahrscheinlich war das wieder einer dieser traurigen Fälle,
wo ein guter Roman vom Drehbuchautor oder dem Regisseur, manchmal auch von
beiden, derart verfilmt worden war, dass kein Auge trocken blieb.
»… im Bereich der künstlerischen Freiheit. Und Sie dürfen
nicht vergessen, dass diese Produktion nicht vorrangig für die
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