Schneerose (German Edition)
schlug die Augen auf.
Seine Cousine hielt sich ihr
Handgelenk, welches stark blutete, doch bereits im nächsten Moment wieder fast
verheilt war. Er fuhr sich mit den schmutzigen Fingern über die feuchten
Lippen. Als er sie zurückzog waren sie rot.
„Was hast du mir angetan?“, keuchte
er verzweifelt und schlug sich gegen die Brust, wie um sein Herz zum Schlagen
zu zwingen.
„Ich habe Euch getötet und im
Gegenzug ein Leben voll unbegrenzter Möglichkeiten geschenkt.“
Sie schnippte mit den Fingern und
hinter Claudia trat ein junges Mädchen mit rötlichem Haar hervor.
Sommersprossen verzierten ihre feine Nase, während sie ihm aus großen braunen
Rehaugen schüchtern entgegenblickte.
„Seid Ihr durstig, Mylord?“, fragte
sie scheu und machte einen Knicks vor ihm. Mylord?
„Ich bin kein Lord und auch kein
Herr. Was soll das?“, knurrte er aufgebracht und sah fragend von Chasity zu dem
Mädchen.
„Du bist mein Cousin! Du bist meine
Familie! Du bist ein Moundrell!“, erklärte Chasity feierlich und nahm das
Mädchen bei der Hand, führte sie in Orlandos Arme. „Trink!“
Ihr Hals lag frei und er sah wie
das Blut durch die Adern gepumpt wurde. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen,
doch eisern schüttelte er den Kopf.
„Nein!“
„Es wird mir nicht wehtun,
Mylord.“, versicherte ihm die Rothaarige mit einem innigen Lächeln auf den
Lippen, doch Orlando wehrte sich weiter gegen den Gedanken.
„Du musst trinken, um deinen
Blutdurst kontrollieren zu lernen. Immer nur kleine Schlücke, sonst wirst du
töten töten.“
„Ich werde kein Blut trinken!“
„Du musst!“
„Warum? Sterbe ich sonst? Dann soll
mir der Tod willkommen sein!“
„Du wirst nicht sterben, der Durst wird früher oder
später die Kontrolle übernehmen. Du wirst wahllos töten und morden.“
Geschockt trat Orlando mit vor
Entsetzten geweiteten Augen zurück. Immer wieder schüttelte er den Kopf.
„Du wirst verstehen!“, prophezeite
ihm Chasity. „Geh zu deiner Mutter und gib ihr dein Blut, sowie ich dir meines
gab. Es wird sie von allem Schmerz befreien und ihr könnt für immer zusammen
sein. Niemals wird sie dich alleine lassen. Wir sind unsterblich.“
Das Ausmaß ihrer Worte war kaum zu
glauben. Wenn sie die Wahrheit sagte, würde seine Mutter nie wieder anschaffen
müssen. Sie könnten wie die Räuber es von den Reichen nehmen und ein schönes
Leben führen. Vielleicht würden sie sich einen kleinen Hof kaufen mit Tieren,
den Orlando einst mit seiner Braut führen könnte, kaufen.
Er warf einen letzten Blick auf die
drei Frauen, bevor er zu rennen begann. Er rannte schneller als je zuvor in
seinem Leben. Seine Füße schienen nur so über den Boden zu fliegen. Die
Dunkelheit des Waldes wirkte nicht länger furchteinflößend auf ihn, sondern
heimisch. Die Umrisse der Bäume erkennen zu können, reichte ihm vollkommen. Wie
ein Schatten huschte er durch sie hindurch.
Für die Hinreise hatte er fast zwei
volle Tage gebraucht, doch dieses Mal erreichte er Bidford bereits nach wenigen
Stunden. Er stürzte in die kleine Hütte seiner Mutter als der Morgen nahte und
die Dämmerung am Horizont heraufzog.
Still lag sie da. Ihr Brustkorb hob
und senkte sich rhythmisch. Ihre Haut wirkte eingefallen und aschfarben. Der
Ausschlag hatte ihre Hände befallen und sie zu dicken Knollen anschwellen
lassen. Behutsam strich er über die dünne Haut ihrer Arme und küsste ihre
Stirn.
Ihre Lider begannen unruhig zu
flattern. „Orlando, mein Sohn, bist du zurückgekehrt?“
„Ja, Mutter, ich bin an deiner
Seite und werde nicht mehr von dir weichen, solange ich lebe.“, versprach er
ihr zärtlich und strich ihr das blonde Haar aus dem Gesicht. Seine Finger
streiften ihre pulsierende Halsschlagader und verkrampften. So viel Blut…
Er beugte sich zu ihr hinab, wie so
viele Male zuvor schon und vergrub seinen Kopf an ihrer Schulter. So hatte er
es immer als kleiner Junge gemacht, wenn er nicht einschlafen konnte.
Beruhigend wehte ihm ihr Duft nach frischen Pfirsichen entgegen. Wenn er die
Augen schloss, konnte er die weißen Blüten der Bäume im Frühjahr vor sich sehen.
Gierig biss er zu.
Süß breitete sich der Saft in
seinem Mund aus. Das Fleisch war von der Sonne gewärmt und bereitete ihm eine
Gänsehaut. Köstlich schmeckte es und kitzelte seinen Gaumen.
Er öffnete die Augen und ihn traf
maßloses Entsetzen. Schneeweiß lag seine Mutter vor ihm. Die Augen weit
aufgerissen und wie zu Stein erstarrt. Ihr Mund formte
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