Schneerose (German Edition)
Kerzen und
Fackeln spendeten Wärme. Unruhig flackerten sie hin und her. Der Lord empfing
Gäste nur des Nachts. Nichts war von dem Leben am Hofe zu sehen, dass Orlando sich
vorgestellt hatte. Er hatte von rauschenden Festen, eleganten Damen, duftendem
Essen und Gold besetzten Fluren geträumt. Doch hier gab es nur Kälte.
Auch der Thron von John Moundrell
hatte schon bessere Tage erlebt. Er stand in Mitten eines leeren Saals, dessen
bunte Fenster bereits vor Jahren zerbrochen sein mussten. Mehrere Tischreihen
säumten seinen Weg, doch waren allesamt leer. Keine Blumen, keine Speisen,
keine Kristallgläser, keine goldenen Teller, nicht einmal Gäste.
Er verneigte sich tief und wartete
auf die Erlaubnis Sprechen zu dürfen. Es blieb still.
„Verzeih Junge, aber du stinkst!“,
tönte es herablassend vom Thron.
Orlando blieb in seiner demütigen
Stellung, während er antwortete: „Ich arbeitete in der Gerberei, während ich
auf eine Audienz bei Euch wartete, Mylord.“
„Dann lasst es uns schnell
erledigen. Mir wird ganz schlecht von deinem Gestank.“
Orlando stand nach wie vor mit
vorgebeugtem Oberkörper vor dem Fürsten von Warwick. Und je länger er dort in
dieser unbequemen Haltung stand, desto mehr schwand seine Hoffnung auf Hilfe.
Doch plötzlich durchbrach eine liebliche Stimme die eiserne Stille.
„Vater, lasst den Mann sich doch
erst einmal aufrichten. Er hat lange auf
eine Anhörung bei Euch gewartet.“
Verstohlen hob Orlando den Blick,
um das feinfühlige Wesen zu sehen, welches so reizend sprach. Sie hatte langes
schwarzes Haar, glatt wie Seide und Augen von solch einem intensiven
Veilchenblau, dass sie stärker als der Avon an seiner reinsten Stelle
leuchteten. Ihr Kleid in scharlachrot ließ sie wie eine Königin wirken.
Wenigstens die edlen Damen waren also wohl doch im Schloss vertreten. Doch
diese war nicht nur edel, sondern auch von gutem Herzen.
„Erhebt euch und dankt meiner
liebreizenden Tochter Chasity für ihre Gnade!“, knurrte John Moundrell, während
Orlando dankbar den Rücken durchstreckte.
„Ich stehe in Eurer Schuld,
Mylady.“
Doch Chasity schenkte ihm nur ein
mitfühlendes Lächeln. Auch wenn er nie gehofft hatte in Warwick Familie zu
finden, so empfand er sofort große Zuneigung für seine wunderschöne Cousine.
„Mylord, ich komme mit einer
Herzensbitte zu Euch. Wisset, dass Euer Beschluss über Leben und Tod
entscheidet. Dennoch werde ich Eure gewiss weise Entscheidung voller Demut
akzeptieren…“
„…Junge, red nicht lange um den
heißen Brei, sag was du willst!“, fiel ihm John Moundrell barsch ins Wort,
wofür ihn seine Tochter augenblicklich mit einem tadelnden Blick bedachte.
„Meine liebe Mutter in Bidford ist
schwerkrank, aber ich bin sicher ein Arzt könnte ihr helfen.“
„Wo kämen wir hin, wenn ich zu
jeder kranken Frau einen Arzt schicken würde? Viele Menschen sind krank zu
diesen Tagen, selbst mein geliebter Bruder starb erst vor wenigen Wochen.“
„Das ist der Grund, warum ich zu
euch kam, Mylord. Euer Bruder war mein Vater.“
„Ein Bastard!“, spuckt John
Moundrell voller Abscheu aus.
„Der Sohn eures geliebten Bruders.
Meine Mutter ist eine stolze und ehrbare Frau, sie fiel ihm nie in irgendeiner
Weise zu Last. Nie hätte sie ihn um Geld gebeten, doch so tue ich es im
Angesicht ihres Todes für sie. Bitte Mylord, ohne einen Arzt, wird sie
sterben.“ Orlando wählte seine Worte so eindringlich und herzzerreißend wie
möglich. Sogar Tränen standen ihm in den Augen.
Der Lord zögerte. Musterte Orlando
von oben bis unten. Seine Mundwinkel hingen schlaff hinab, was seinem Gesicht
einen sowohl strengen als auch müden Eindruck verlieh. „Mein Bruder wird sich
freuen sie zu sehen.“, gab er schließlich kalt zurück und blickte geradewegs an
Orlando vorbei zu seinen Wachen. Mit einer schlichten Handbewegung gab er das
Zeichen ihn hinaus zu geleiten.
Orlando schmiss sich verzweifelt
vor dem Thron auf die Knie. Die Tränen rannen über seine Wangen. „Bitte Mylord,
sie ist alles, was ich habe. Bitte helft ihr! Ein Arzt könnte sie heilen.“
„Der Nächste!“, kommandierte John
und die Soldaten packten Orlando unter den Armen und zogen ihn gegen seinen
Willen aus dem Saal. Sobald sie das Schlosstor erreicht hatten, schmissen sie
ihn mit dem Gesicht voran in die nächste Dreckpfütze. Schmutziges Wasser
flutete seinen Mund und wusch die Tränen fort. Orlando prustete, rang nach
Luft. Seine Kehle war wie zugeschnürt, zu
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