Schneerose (German Edition)
Geistern schützen?“
Fragend
blickt Mary ihm entgegen und streicht über das weiche Fell.
„Die
Inuit glauben, dass die Farbe Weiß einen vor Übernatürlichem beschützt.“,
erklärt Orlando, fängt sich dafür aber nur einen genervten Blick von Mary ein.
„Wenn
du mich fragst, sind wir hier die einzigen bösen Geister und ich glaube kaum,
dass sie mich vor mir selbst schützen können.“
Nachdenklich
blickt Orlando mit Mary von der Rehling hinaus aufs weite Eismeer. Alles ist
weiß und weit und breit ist weder ein Berg noch ein Ort zu sehen. Sie befinden
sich in einer Eiswüste von unglaublicher Weite. Der Himmel färbt sich bereits
wieder Dunkel und erste Sterne sind am Himmelszelt zu sehen. Selbst ihr kalter
Atem hinterlässt kleine Rauchschwaden in der eisigen Luft von minus 20 Grad.
„Wollen
wir uns einen kleinen Drink genehmigen?“, fragt Orlando charmant.
„Ich
habe keinen Hunger.“, entgegnet ihm Mary nur. Es ist ungewöhnlich für sie, da
sie normalerweise keine Gelegenheit ausgelassen hätte.
„Seit
dem wir unterwegs sind, habe ich dich nicht einmal trinken gesehen.“
„Ich
brauche das Blut nicht mehr.“
Verdattert
blickt Orlando sie an. „Wir haben unter Deck extra ein paar Tank Blut und du
verschmähst es.“
„Du
vergisst, dass es lebendige Tanks sind. Die armen Menschen dienen euch bestimmt
nicht freiwillig als Spender.“, abfällig betrachtet sie Orlando.
„Sie
werden sich doch an gar nichts mehr erinnern.“
„Wie
soll man sich auch an etwas erinnern, wenn man tot ist und im Eismeer landet?“
Es
gibt nichts was Orlando sagen könnte, um ihr zu widersprechen, also verkneift
er sich jedes Kommentar. Dass Blutkonserven bei dieser Kälte gefrieren, würde
sie sicher auch nicht besänftigen. Trotzdem beeindruckt es ihn, dass sie es
schon so lange ohne Blut ausgehalten hat.
Als
sie zurück in das Innere des Schiffes treten, legt Mary den dicken grünen
Wollschal ab. An ihrem Hals baumelt das goldene Medaillon von Vivienne.
„Mary,
es tut mir leid.“, setzt Orlando an. „Ich bin zu spät gekommen und nur deshalb
musste Vivienne sterben. Aber trotzdem bin ich froh, dass sie es getan hat. Ich
könnte es nicht ertragen, wenn ich dich verloren hätte. Ich weiß ich zeige es
nicht immer so, aber du bist mir wirklich verdammt wichtig.“
Mit
großen roten Augen blickt sie ihm ins Gesicht und schluckt. „Und was ist mit
deiner Liandra?“
Orlando
zuckt mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Sie hat sich verändert und scheint
alles, was zwischen uns war, vergessen zu haben.“
„Höre
ich da etwa so etwas wie Liebeskummer?“, neckt Mary ihn nun.
Orlando
spürt wie sein Hals sich zuschnürt und senkt den Blick. „Sie hat nicht mal
etwas unternommen, als mich die Vampirjägerin umbringen wollte.“
Mary
starrt ihn entsetzt an. „Ich dachte, sie liebt dich.“
„Du
hast es dir nur gewünscht. Die Vorstellung war so schön.“, entgegnet Orlando
mit einem traurigen Lächeln. „Vielleicht ist es besser, dass wir jetzt weg
sind.“, fügt er noch resigniert hinzu.
„Wenn
es wahre Liebe ist, werdet ihr euch wiedersehen, egal wie viele Meilen auch
zwischen euch liegen.“, beteuert Mary hoffnungsvoll.
Nach
wenigen Stunden erreichen sie das Ende ihrer Schiffsreise. Bunte Häuser in
kräftigen Farben erstrahlen am Ufer im Schein des Nordlichtes. Victor tritt als
erstes von der Schiffsrampe auf den Schnee bedeckten Boden. Am Hafen wartet
bereits eine Art Kolonne aus Zelten, ja, fast kleine Häuser, auf Kufen auf sie.
Die Behausungen werden von jeweils acht Rentieren gezogen. Aus einem der Wagen
tritt ein dick eingepackter Mann hervor. Seine Haut ist dunkel und seine Augen
zu Schlitzen geformt. Als er ein Lächeln aufsetzt, erstrahlen seine spitzen
Eckzähne im Mondlicht.
„Herzlich
Willkommen, ich bin Nanuk, euer Reiseführer. Auch wenn wir es nicht mehr weit
haben, ist die Reise beschwerlich. Bitte fühlt euch wie Zuhause bei mir und
meinen Dolganen.“, er deutet auf die Wohnzelte und die Menschen, die daraus
neugierig hervorschauen. „Es kommen jeden Tag mehr von uns an. Kain erwartet
jeden im Dorf Siorapulak, der nördlichsten Siedlung der Welt.“
Gemeinsam
gehen die beiden Mädchen den Weg, den sie schon tausende Male zuvor gegangen
sind. Von Lindsays familiärer Doppelhaushälfte zu Lias Anwesen in der
luxuriösen Manor Road. Und trotzdem ist es heute etwas anderes. Alles hat sich
verändert, noch mehr als es eine der Beiden je für möglich
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