Schneerose (German Edition)
Fuß.
„Sein
Auto steht vor der Tür...“, sagt sie mehr zu sich selbst als zu Lindsay.
Eigentlich sollte es ihr ein leichtes sein ins Innere zu gehen und ihrem Vater
eine wohl berechtigte Frage zu stellen, doch es wäre nicht das erste Mal, dass
er ihr keine Antwort darauf gibt. Sie schluckt.
„Nur
Mut!“, sagt Lindsay und drückt ihr aufmunternd die Schulter. In dem Moment
öffnet sich bereits die geflügelte Eingangstür von ganz alleine und ihr Vater,
der sonst immer Wert auf sein Äußeres legt und nie ungeschniegelt aus dem Haus
gehen würde, kommt in Jogginghose, verschmiertem weißen Shirt und fettigen,
verwuschelten Haaren barfuss aus dem Haus getaumelt.
„Liandra?“,
ruft er mit sowohl lallender, als auch weinerlicher Stimme und tapst über die
weiße Steinauffahrt auf sie zu. Sein Anblick raubt Lia schlicht den Atem.
Zögernd geht sie ihm entgegen, da breitet ihr Vater bereits seine Arme aus und
kommt ihr entgegen gerannt. Er drückt sie so feste an sich, dass ihr beinahe
die Luft wegbleibt, während er ihr ins Haar schluchzt. Seine tränenfeuchte
Wange drückt sich gegen ihre und ein leicht ungewaschener Geruch gemischt mit
einer Alkoholfahne schlägt ihr entgegen. Doch zwischen alldem ist immer noch
der schwache Geruch seines Aftershaves zu riechen. Lia hat ihn sowohl in ihrer
Kindheit als auch jetzt nur selten wahrgenommen und doch bedeutet der Duft nach
Sandelholz und Tabak für sie Familie und Geborgenheit. Gegen die Tränen, die in
ihrem Hals aufsteigen ist sie machtlos und so lässt sie sich zum ersten Mal in
die starken und schützenden Arme ihres Vaters sinken. Seine Bartstoppeln
kratzen über ihre Haut. Er küsst sie auf die Wangen und die Stirn und schluchzt
immer wieder ihren Namen. „Mein Mädchen“, flüstert er während er ihr durchs
Haar streicht und hebt sie dann sachte von sich. „Geht es dir gut?“
Lia
nickt. „Wo hast du nur gesteckt?“ Lia kann nur unglücklich den Mund verziehen.
Zu gerne würde sie ihm die Wahrheit sagen, aber sie bezweifelt, dass er sie
verkraften würde. Ein letztes Mal küsst er sie auf die Stirn.
„Komm
lass uns reingehen, dann kannst du mir alles erzählen. Ich verspreche dir
dieses Mal werde ich zuhören.“
Gerührt
schluckt sie den Kloß in ihrem Hals runter und schaut sich nach Lindsay um.
Doch diese schüttelt nur mit feuchten Augen den Kopf. „Geht ruhig, ich warte
draußen.“
Im
Inneren des Hauses rollen halbleere Flaschen über den Boden und leere Packungen
vom Lieferservice stehen an jeder Ecke. Die teure Vase aus chinesischem
Porzellan, die zum Aufgang der Treppe stand, liegt in Scherben am Boden.
Peinlich berührt fängt ihr Vater bereits an die Trümmer einzusammeln und zu
beseitigen. „Ich werde direkt Maria anrufen und ihr sagen, dass sie vorbei
kommen soll. Sie wird sich auch freuen zu hören, dass du wieder da bist.“
Verunsichert
steht Lia in der großen Eingangshalle und weiß nicht was sie sagen oder machen
soll.
„Sie
war das ganze Weihnachtsfest bei mir, nur damit ich nicht alleine sein muss.
Ich war halb krank vor lauter Sorge um dich.“, erzählt er wie beiläufig,
während er die leeren Behälter vom Boden aufsammelt. Bestürzt wendet Mr. Green
sich ihr wieder zu. „Entschuldige, der Müll ist jetzt nebensächlich...“, er
seufzt und lässt die Hände sinken. „Ich bin ein schrecklicher Vater, oder?“
Lia
versucht zu lächeln. „Wenn du da bist, bist du eigentlich ganz okay.“
Er
lacht ein trauriges Lachen. „Genau, WENN ich da bin.“ Mit hängendem Kopf
schlurft er in das Wohnzimmer, gefolgt von Lias leisen Schritten. Über den
weißen Möbeln hängt immer noch die Plastikplane vom Möbelhaus, dass sie bereits
vor Wochen geliefert hat. Bisher hatte nie jemand das Verlangen im Wohnzimmer
zu sitzen. Es wirkt leblos, verlassen und steril wie in einem Krankenhaus. Als
Lias Vater sich setzt, knistert die Folie unter seiner Bewegung. Lia lässt sich
neben ihn nieder und verschränkt schüchtern ihre Hände zwischen ihren
Schenkeln. Doch ihr Vater bekommt sich vor lauter Schuldgefühlen gar nicht mehr
ein.
„Es
tut mir leid, dass ich nie Zeit für dich gehabt habe. Ich dachte immer, wenn es
dir an nichts fehlen würde, wärst du schon glücklich genug. Ich dachte du
brauchst mich nicht und um ehrlich zu sein, hast du mir oft Angst gemacht.“
Fassungslos
reißt Lia die Augen auf. „Warum?“
„Es
lag nicht an dir, sondern an mir. Ich hatte Angst etwas falsch zu machen. Ich
hatte Angst davor Vater
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