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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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Es fällt auf. Als ob ich ein Bulle wäre, der jemanden observiert! Seine Verfolgungsfahrten sind fast schon Routine.
    Dann passiert etwas Unvorhergesehenes.
    Geneviève verlässt den Bus, geht ein paar Meter und betritt ein Haus. Der Mann hält schräg vor dem Haus. Dass Geneviève nicht in die Discothek gefahren ist, weicht vom Üblichen ab. Letzten Freitag und Samstag hatte sie ihren Weg nicht unterbrochen. Der Mann lehnt sich zurück und spreizt die Schenkel. Gehst deine eigenen Wege …! Dass Geneviève sich nicht nach Plan verhält, erhöht die Spannung. Der Mann sieht kurz auf die Uhr neben dem Tacho. Es ist genau 21 Uhr.
    Um 23 Uhr kommt das Mädchen wieder raus. Sie ist allein, und das ist erfreulich. Die Kleine ist offenbar ganz gutorganisiert, denn schon nach zwei Minuten kommt der Bus. Der Mann überholt und fährt zum
Chaise Longue
. Es macht ihm Spaß, die Mädchen kurz freizulassen. Er findet einen Parkplatz an der Ecke einer Seitenstraße. Von hier aus hat er den Eingang der Discothek im Blick, ohne dass ihn jemand sehen kann.
    Der Mann schaut auf die Uhr. Es ist 23 Uhr 15. Er hat jetzt sicher eine Weile Zeit. Vor eins kommen sie nie raus. Wieder spreizt er die Beine. Er ist sich seiner Sache so sicher, dass er sich sogar erlaubt, die Augen zu schließen.

    Es gibt Dinge, die sich einbürgern in Beziehungen, und manche davon sind ganz sinnvoll. Juliet ist nach dem Essen in ihre Wohnung gegangen. Sie macht das jeden Abend, damit Roland eine Stunde mit seiner Tochter allein sein kann. Manchmal passiert in dieser Stunde nichts, manchmal unterhalten sie sich. Wie das eben so ist, bei Menschen, die sich gut kennen.
    Roland Colbert bleibt sitzen, sieht seiner Tochter zu, wie sie das Geschirr in die Maschine räumt und die Anrichte abwischt. Es ist schwer herauszufinden, was in einem Menschen vorgeht, während er wischt. Selbst für einen Kommissar. Manchmal verraten sich Menschen durch ihre Bewegungen. Sina verrät nichts. Sie wischt. Danach sagt sie, dass sie kurz in ihr Zimmer geht, um ein Buch zu holen. Vielleicht eine Liebesgeschichte?
    »Bin gleich zurück!«
    Er ist zufrieden. Vor allem, weil Sina ihn das vorhin gefragt hat: Ob sie in Barcelona ein eigenes Zimmer hat und später kommen darf! Anlass zur Hoffnung, dass sie kein Kind mehr sein will … Aber Mädchen in dem Alter entwickeln sich ja auch. Manche fangen mit dreizehn an, manche eben erst mit sechzehn. Wenn sie schon länger wegbleiben will, dann geht sie bestimmt bald zum Friseur und zieht sich mal richtig an. Ja, jetzt geht das los mit den Jungs … Roland Colbert ist stolz. Er möchte stolz sein auf seine Tochter. Unddazu gehört eben auch, dass er will, dass sie gut aussieht. Dann hängen hier lauter verliebte männliche Teenager rum … Ja. Seine Tochter ist auf dem richtigen Weg.
    »Pass auf!« Sina blättert in einem Buch, findet die Stelle. »Das hat Heinrich von Kleist über das Bild
Der Mönch am Meer
geschrieben: ›Zu dem Bild gehört, dass man hingegangen sein muss, dass man alles zum Leben vermisst und die Stimme des Lebens dennoch im Rauschen der Flut vernimmt.‹«
    Kommissar Roland Colbert blickt ohne Bewegung.
Alles zum Leben vermisst
… Roland Colbert ist Fachmann für kriminelle Motive, kein Kunstkenner. Er kann diese Sätze nur so interpretieren, wie ein Kommissar sie interpretiert: Etwas ist passiert. Oder etwas wird bald passieren.
    Sina erzählt ihrem Vater, wie Heinrich von Kleist gelebt hat. Zuletzt spricht sie über seinen Selbstmord. »Er hat sich zusammen mit seiner Freundin erschossen!« Offenbar hat sie sich da sehr genau hineingedacht. Kann über diesen Selbstmord reden wie nur eine Sechzehnjährige darüber reden kann. Voller Verständnis. »Ich geh auf mein Zimmer und lese noch, ja?« Sina umarmt ihn mit einer so einleuchtenden Vertrautheit, dass er sich nicht wehren kann, und geht mit ihrem Buch nach oben.
    Alles zum Leben vermisst

    Roland Colbert steht auf, öffnet eine Flasche Rotwein, trinkt schnell. Selbstmord!
    Er füllt das Glas nach. Balanciert es zur Couch. Irgendwas ist doch los!
    Roland Colbert denkt: Irgendwas ist doch los! Er meint aber das Gegenteil. Etwas war nicht los. Mit Sina! Während die anderen Mädchen nämlich ihre ganze Energie darauf verwendeten, sich in attraktive junge Frauen zu verwandeln, trifft sich seine Tochter mit einer dicklichen Freundin und einem anderen unscheinbaren Wesen, vermutlich einem Jungen, und liest Gedichte.
    Die müsste chaotischer sein, mit mir

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