Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern
Minirock sitzt hinten, zwischen Thomas und Philippe. Philippe schiebt seine Hand zwischen ihre Schenkel, und Geneviève presst sie zusammen. Sie findet das eklig und hat gleichzeitig das Gefühl, alles falsch zu machen. Warum fängt sie jetzt an zu zicken? Vielleicht hat sie einfach zu wenig getrunken! Thomas gibt ihr also die Flasche, und Geneviève trinkt. Dann hält Philippe sie fest, und Thomas kippt die Flasche so weit hoch, dass sie immer weiter trinken muss. Der Schnaps tut ihr weh im Hals, sie muss husten. Es läuft ihr die Wangen runter und in ihren Ausschnitt. Die Jungs lassen sie frei, und für einen Moment glaubt Geneviève, dass sie kotzen muss.
Dann sieht sie den Wald.
Er liegt wie eine dunkle Kuppe einen Kilometer vor ihnen. Und auf den Wald zu führt die Straße, und die ist weiß überhaucht und glitzert wie in einem Märchen.
Der Parkplatz am Feensee.
Max bringt den Wagen zum Stehen. Die Jungen steigen aus. Als Geneviève aussteigt, passiert etwas mit ihr.
Sauerstoff.
Es gibt eine kleine Verwirrung, ein Taumeln aller. Max und Thomas kotzen sofort.
Philippe will. Geneviève will nicht. Philippe brüllt rum. Kristina verteidigt Geneviève nicht.
Es passiert sehr viel gleichzeitig. Bewegungen. Drehungen. Stürze. Mädchen werden angefasst. Reißen sich los. Dann eine kleine Lücke.
Geneviève blickt nach oben. Sieht den Mond. Sie läuft los. Minus sechs Grad. Ein Glitzermini.
Es hat angefangen zu schneien. Nur einige Flocken. Der Mann fährt langsam am Parkplatz vorbei. Er blickt kurz zu dem Opel Admiral hinüber, fährt ein Stück weiter und hält hinter den Bäumen. Es war genau der richtige Moment. Der Mann hat gesehen, wie sein Mädchen sich von den Jungs losgerissen hat und in den Wald gerannt ist.
Die läuft zur Hexe!
Der Mann im Wagen wartet. Er gibt ihr einen Vorsprung und berechnet in aller Ruhe den Weg, den sie wahrscheinlich nehmen wird. Er muss sich nicht beeilen, er kennt einen alten Forstweg, der direkt an die Lichtung führt. Er lächelt. Der alte Knutschweg! Das Lächeln hält noch eine Weile an. Er ist zufrieden. Die Tatsache, dass einer der Jungen sein Mädchen angefasst hat, dass sie sich losgemacht hat, dass sie den Jungen angebrüllt hat, das alles hat den Mann erregt. Der Mann kennt die Gegend am Feensee, den Wald von Fleurville. Er hat hier schon oft observiert. Wege und Abkürzungen zu berechnen lenkt ihn von seiner Erregung ab. Beruhigt ihn. Er muss sich ablenken. Er darf seine Erregung genießen, aber er darf nicht die Kontrolle verlieren. Er darf unter keinen Umständen aussteigen. Die Erinnerungen an den alten Knutschweg entführen ihn eine Weile aus der Realität. Er war als Jugendlicher oft da. Mit verschiedenenMädchen, die er in der Disco aufgerissen hatte. Er war ganz gut dabei. Es war immer sehr aufregend. Fast so aufregend wie heute.
Geneviève läuft durch den Wald. Nach hundert Metern kommt sie an den See. Der Feensee dampft, wie er das im Winter immer tut. Geneviève dringt in den Nebel ein. Als sie den Nebel wieder verlässt, hat sie den See halb umrundet und die anderen und das Auto weit hinter sich gelassen. Der Hochsitz! Da geht’s rein. Wieder dringt sie in den Wald ein. Sie kennt den Weg zum Haus der Hexe. Sie war schon da. Als die Kaninchen Junge hatten.
Zehn Minuten später betritt sie die Lichtung. Am Rand der Lichtung bleibt sie stehen. Sie hat alles vergessen. Die Jungs, den Ekel, die Kälte … Ihr Hals brennt immer noch, aber das Hexenhaus macht ihr so wenig Angst wie die Nacht. Dann hat sie plötzlich ein schlechtes Gewissen. Sie ist weggelaufen und hat nur an sich gedacht.
Eine Haarsträhne kitzelt Geneviève an der Wange. Im Hexenhaus brennt kein Licht, die Haare bewegen sich wieder, kitzeln wieder, und Geneviève ist auf einmal klar, dass nicht alles in den Gedichten der Schule Kitsch ist, denn der Mond ist tatsächlich silbern. Der Schnee, der sich über dem Dach in Wirbeln dreht, auch. Alles ist silbern heute Nacht. Und Silber ist zur Zeit Genevièves Lieblingsfarbe. Plötzlich meint sie, dass sie etwas gesehen hat. Eine Gestalt, eine Bewegung. Rechts. Hundert Meter entfernt, schräg rechts am Waldrand, auf der anderen Seite der Lichtung. Sie strengt sich an, erkennt aber nichts. Trotzdem ist es mit der Leichtigkeit erst mal vorbei. Ist das Philippe? Philippe hat versucht, ihr zwischen die Beine zu grabschen. Das ist bestimmt nicht das Besondere, auf das sie gehofft hat. Die Frage ist jetzt, ob überhaupt je was Besonderes
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