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Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern

Titel: Schneeschwestern - Wittekindt, M: Schneeschwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Wittekindt
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Fischhändler an. Ein großer, kräftiger Kerl ist das. Als Ohayon an der Reihe ist, bestellt er nichts, worüber sich der Mann hinter ihm in der Schlange freut. Ohayon sieht ihn sich an. Es ist nicht derselbe wie damals. Der hatte ihn ja an einen Schauspieler erinnert. Und der Name ist dir natürlich nicht eingefallen! Inzwischen geht alles ineinander, wird zu einem einzigen Déjà-vu. Was ist nur los mit ihm? Warum wird er ausgerechnet hier, vor dem Fischstand, so heftig von diesem Bild bedrängt? Was hat der verdammte Waldrand mit dem Fischstand zu tun? Er kann nicht anders. Er dreht sich um. Das Bedeutendste, was ihm auffällt, ist wieder der Fischhändler. Erschlägt Fische mit einer Eisenstange, ist Freitag und Samstaghier und Geneviève wurde in der Nacht von Freitag auf Samstag erschlagen. Ohayon grinst bitter. Jetzt treibt es seine Fantasie doch etwas zu doll mit ihm. Ohayon überquert also die Straße und geht zurück zum Kommissariat. Das ist ja genau seine große Schwäche. Er erinnert sich an nichts und kann nicht richtig denken. Wie oft schon hat er am Schreibtisch gesessen und sich gesagt: Jetzt gehen wir das mal alles Schritt für Schritt durch!
    Aber genau das kann er nicht. Schritt für Schritt und analytisch. Als Ohayon den Glaskasten des Eingangs betritt, ist er also ziemlich genervt. Dann sieht er etwas, das zu seiner Stimmung passt. Der Gummibaum hat wieder ein Blatt abgeworfen. Ohayon hebt das Blatt auf und legt es in den Blumentopf. Er befühlt die Erde und stellt fest, dass sie fast trocken ist. Er hat ein schlechtes Gewissen. Seit er mit Frau Behling zusammen ist, hat er den Gummibaum total vernachlässigt. Er geht also und holt die Gießkanne. Als er den Gummibaum gießt, fällt ihm auf, dass er lauter grüne Spitzen hat. Die alten Blätter dagegen sehen nicht so gut aus. Er befühlt eins. Etwas eingeschrumpelt ist es bereits. Der nächste Kandidat, der fallen wird. Er ist fertig mit Gießen und Fühlen, stellt die Kanne ab. Und als er dann seinen Gummibaum noch einmal kurz betrachtet, da endlich fällt es ihm ein.
    Der ganze Vorgang des Erinnerns dauert eine Sekunde. Dass es so schnell geht, liegt daran, dass Erinnerung im ersten Moment kein Gedanke ist, sondern ein Gefühl, dass sich dann schnell konkretisiert.
    Ohayon geht in sein Zimmer. Er läuft nicht. Niemals! Aber er geht doch so viel schneller als sonst, dass es einer Putzfrau auffällt, die sich gerade über einen Mülleimer geärgert hat, der im Gang steht.
    In seinem Büro angekommen, setzt sich Ohayon an seinen Schreibtisch, nimmt einen Block, schreibt auf, was zu tun ist, geht Eventualitäten durch.
    Man kann das nur überschlägig sagen, aber im Laufe der Ermittlungen sind eine Menge Möglichkeiten undFakten aufgetaucht. Vielleicht vierhundert. Die müssen alle berücksichtigt und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Rein rechnerisch gibt es also etwas mehr Möglichkeiten als Sandkörner am Strand. Ein guter Großrechner würde trotzdem nicht länger als zwei Tage dafür brauchen. Ohayon ist kein Computer, er hat nur ein durchschnittlich verwirrtes Gehirn zur Verfügung, das zu achtundneunzig Prozent mit der Verarbeitung von Gefühlen befasst ist. Es dauert ungefähr zwei Minuten, bis er fertig ist mit seiner Arbeit.
    Informieren, anrufen, abklären. Sofort!
    Doch Sergeant Ohayon ruft nicht an. Er lehnt sich zurück und lässt Zeit vergehen. Und noch etwas mehr Zeit vergehen. Es sind längst noch nicht alle Unterschiede zwischen Großrechnern und menschlichen Gehirnen mit der nötigen Präzision untersucht worden.
    Und noch etwas Zeit lässt er vergehen, reibt sich dabei den Nasenrücken und überprüft anschließend den Sitz seiner Haare. Keine Eile, jetzt bloß keine Eile!
    Keine Eile? Es ist 15 Uhr 48. Wenn Ohayon noch jemanden erreichen will, ist es höchste Zeit. Aber Ohayon greift nicht nach dem Telefonhörer. Das Gehirn, die Verwirrung. Irgendwas kämpft da mit sich.
    Was gibt es da zu zögern? Möglichen Verdachtsmomenten wird nachgegangen, da ist nichts zu überlegen! Andererseits: Der Fall Geneviève Mortier ist abgeschlossen, Roland hat den Bericht abgegeben. Und es ist ein empfindlicher Fall. Der Staatsanwältin würde es sicher nicht gefallen, wenn er jetzt noch mal anfing, in der Sache rumzuwühlen. Auch Roland hat sich, nachdem er Madame Darlan der unterlassenen Hilfeleistung überführt hat, endlich beruhigt. Außerdem stehen längst andere Straftaten im Mittelpunkt. Conrey hat gestern die Autohehlerbande

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