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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Kopf.
    Das, fand Bremer, klang im Lichte der Neuigkeiten noch eigenartiger. Warum lag Krista Regler im Krankenhaus? Hatte Regler ihr etwas angetan und dann sich selbst? Der Mann hatte so merkwürdig geklungen, als er ihn nach Krista fragte, damals, in der Nacht, in der er vor Bremers Haustür gestanden hatte. Und die Hand – sieht so eine Hand aus, die man sich beim Holzhacken verletzt?
    Er verscheuchte die Gedanken. Ein Toter war gefunden worden und mehr wußte man nicht.
    Bremer ging ins Haus und setzte Teewasser auf, irritiert von einem Anflug schlechten Gewissens. Er sollte Krista besuchen. Eine Zeitlang hatten sie sich oft gesehen, im Sommer, als sie ihr Haus ausbaute. Ihre Kunstfertigkeit beim Umgang mit Holz und Farbe hatte ihm gefallen. Es schien kaum etwas zu geben, was sie nicht konnte und was sie nicht wußte. Manchmal fragte er sich, warum es ihr zu genügen schien, sich als Frau eines Kinderarztes hier und da nützlich zu machen. Warum sie keine Kinder hatte, keinen Beruf ausübte, warum sie nicht wenigstens malte. Oder schrieb.
    An einem warmen Sommerabend, an dem die Dämmerung sich in Königspurpur über der Flußaue wölbte, hatten sie hinter Kristas Haus auf der Bank gesessen, den Bachstelzen zugesehen, die über die Wiese ruckten, und erzählt. Über Kindheit, Jugend, Erwachsenwerden. Fast so wie ein Liebespaar in den ersten Wochen des Kennenlernens. Und für einen Moment hatte er gedacht… Aber nein. Sie war verheiratet, mit einem, soweit er das beurteilen konnte, netten, zurückhaltenden, gutverdienenden Mann. Der sich selten in dem verwunschenen Fachwerkhaus in Klein-Roda blicken ließ und nicht viel Worte machte, wenn er es einmal tat.
    Irgendwann hatte sie ihm von ihrer ersten Liebe erzählt, er erinnerte sich daran, es hatte ihn berührt. Jung war sie damals gewesen, noch auf der Schule, ebenso wie ihr Freund. Und der schrieb ihr täglich, Briefe mit Gedichten, Geschichten, Liebesschwüren.
    »Ich habe den Briefen entgegengefiebert. Ich habe mich in seine Worte verliebt.« Sie hatte ihn nicht angesehen dabei, und ihre Stimme war leise geworden. »Ich habe mich immer in Worte verliebt. Ich habe mein Leben lang geglaubt, daß der richtige Mann kommen wird und ich ihn daran erkenne, daß er die richtigen Worte spricht. Und ich habe nicht glauben wollen, daß man auch mit schönen Worten, auch mit guten, wahren, wahrhaftigen Worten lügen kann.«
    Womit sonst, hätte er sie gefragt, wenn sie ihn nicht so gerührt hätte. Und wie paßte Thomas ins Bild?
    Sie hatte den Kopf gehoben und ihn verlegen angelächelt, als ob sie wüßte, was er sie nicht gefragt hatte.
    »Hat Thomas die richtigen Worte gewußt? Nein. Als ich ihn kennenlernte, war ich im vorübergehenden Zustand der Vernunft.«
    Dann war sie aufgestanden, ins Haus gegangen und mit einer Flasche Wein zurückgekehrt.
    Bremer nahm den Tee mit zum Schreibtisch und versuchte vergebens, sich auf das nächste Kapitel zu konzentrieren. Schließlich gab er nach und griff zum Telefon.
    Kaum taucht irgendwo eine Leiche auf, fällt dir Karen ein, dachte er, während er dem Freizeichen zuhörte. Andererseits: War das nicht ihr Job? Und sollten Staatsanwälte nicht auch mal im Büro sitzen, in der Nähe ihres Telefons? Schließlich legte er auf, mit einem Gefühl der Frustration. Irgendwie hatte ihr Verhältnis in den letzten Monaten gelitten. Worunter? Keine Ahnung. Sie war noch immer seine beste Freundin. Kunststück, sagte eine boshafte Stimme. Sie ist schließlich die einzige.
    Vielleicht lag es daran, daß sie sich verliebt hatte. Frauen konnten bekanntlich nicht zwei Dinge auf einmal – Freundschaft halten und verliebt sein. Wer war noch der Glückliche? Sie hatte ihm die Geschichte erzählt, kurz nach Weihnachten, atemlos. So, als ob sie die Neuerfindung des Rads zu verkünden hätte.
    Ein Gerichtsmediziner, richtig. Wie hilfreich.
    Du bist eifersüchtig, sagte er sich.
    Ach was. Sie hatten sich auseinandergelebt, ganz einfach. Er auf dem Land, beschäftigt mit der einsamsten Beschäftigung überhaupt, mit dem Bücherschreiben, und dabei allmählich verbauernd. Und sie in der Stadt, Sportwagenfahrerin, treue Besucherin im Fitneßstudio und gerade mal fähig zur Bedienung einer vollautomatischen Espressomaschine.
    Bremer streichelte gedankenverloren Nemax, der auf den Schreibtisch gesprungen war und es sich auf dem Notizblock bequem gemacht hatte. Es war mal anders gewesen – aber heute waren Karen und er so unterschiedlich, wie man eben ist,

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