Schneesterben
wenn man gegensätzlich lebt.
Freundschaft vergeht. Es gibt Schlimmeres, dachte er und fühlte sich miserabel.
Als ob er ihn für seine treulosen Gedanken bestrafen wollte, fuhr ihm der Kater mit den ausgestreckten Krallen über den Handrücken. Nemax hatte die Ohren nach hinten geklappt und sah ihn von unten aus gelben Augen an.
»Erwischt«, murmelte Bremer und lutschte an seiner Hand. »Ich werde nie wieder Nachteiliges über deine alte Freundin denken, du Gedankenpolizist.« Die Wahrheit war: Er vermißte Karen. Und er glaubte nicht an ihr Glück an der Seite eines – wie hieß er noch?
Nemax klappte die Ohren wieder nach vorn, setzte die Wir-gehen-jetzt-aus-Miene auf und sprang vom Schreibtisch. Ohne sich umzublicken, marschierte er zur Tür. Er wußte, daß sein Mensch ihm folgen würde.
7
M ichael Hansen – tot?« Die Schlagzeile der »Bild«- Zeitung forderte Aufmerksamkeit. Bevor Bremer nach dem Blatt greifen konnte, kam ihm eine Hand zuvor. Erika, des Apothekers eckiges Eheweib, lächelte anzüglich, während sie »Entschuldigung« murmelte. Du bist dir doch sowieso zu fein zum »Bild«-Lesen, wollte sie damit wohl sagen. Es war das letzte Exemplar im Regal gewesen. Bremer nahm sich die »Süddeutsche«, die daneben lag. Auch die letzte. Die wenigen Zeitungsleser im Landstrich waren früher wach gewesen als er.
Seltsam, wie sehr ihn erschütterte, daß man Hansen für tot hielt. Dabei war damit schon seit Jahren zu rechnen gewesen. Ihm eilte der Ruf voraus, keiner Gefahr aus dem Weg zu gehen, im Gegenteil: er war stets pünktlich zur Stelle, wenn irgendwo die Luft bleihaltig wurde. Bremer überflog den kurzen Bericht auf der ersten Seite. Hansen wurde seit einer knappen Woche vermißt, seit er zur Verleihung eines Preises nicht erschienen war, mit dem sein Einsatz für den Frieden und die Völkerverständigung oder so ähnlich gewürdigt werden sollte. Erst hatte man sich darüber nicht weiter gewundert. Die einen fanden es vorstellbar, daß der Mann mit Absicht nicht erschienen war zur Zeremonie. Lobhudelei und salbungsvolle Reden paßten nicht zu ihm. Die anderen spekulierten, er habe sich Hals über Kopf wieder in ein Krisengebiet begeben.
Michael Hansen. Kriegsberichterstatter. Reporter ohne Grenzen. Furchtloser Kämpfer für die Wahrheit. Ein Gesicht wie Harrison Ford, jüngere Ausgabe, die Haare länger, als Mode war – so kannte man Hansen aus dem Fernsehen und aus der Zeitung. Auf Seite drei der »Süddeutschen«, neben einem Bericht über Hansen, der fast die ganze Seite einnahm, sah man ihn neben einer Rakete stehen, die aussah wie eine Karnevalsattrappe, umringt von Männern mit Bärten und Turban.
Vielleicht hatte er einen Hinweis auf die Mörder dieses pakistanischen Obermuftis erhalten – wie hieß er noch gleich? –, war überstürzt nach Pakistan geflogen und dann… »Das ist nun mal der Job«, hörte Bremer ihn nuscheln.
Er hatte sich damals gewundert, daß ein so bekannter Autor ausgerechnet nach Pfaffenheim kam, um sein neues Buch mit Kriegsreportagen vorzustellen – in einer Buchhandlung, in die gerade mal zwanzig Zuhörer hineinpaßten. Das sah man bei den Damen der »Wendeltreppe« wohl ähnlich, denn die Lesung war ins Kino verlegt worden, wo es nicht schöner, aber etwas geräumiger war. Die Voranmeldungen überstiegen alle Erwartungen, insbesondere die Frauen rissen sich um Karten. Krista Regler, die häufig in der Buchhandlung aushalf, hatte Bremer eine zugesteckt, dafür, daß er ihr beim Umgraben der kleinen Parzelle in der Feldflur geholfen hatte, auf der sie alte Kartoffelsorten anbauen wollte.
Im Kino roch es nach Popcorn und Bier. Die wenigen Männer standen verlegen in der Ecke beim Tisch mit den Weinflaschen. Die Frauen schwatzten aufgeregt durcheinander. Doch als Hansen vorne zum Tisch ging, auf dem, wie es sich gehörte, das Glas Wasser unter der schwarzen Leselampe stand, schienen alle den Atem anzuhalten.
Was war dran an Hansen? Er sah durchschnittlich gut aus. Braungebrannt vom Kriege und Krisenbeobachten in südlichen Ländern. Breitschultrig, schlank. Gerade Nase, schmale Lippen. Kein Lächeln auf denselben.
Aber dann hatte er gelesen. Eher: erzählt und gelesen. Auf den Gesichtern der Frauen sah man, daß sie bereit gewesen wären, Kriegsreporter wie ihn für die letzten modernen Helden zu halten, zumal Hansen versuchte, diese Legende im Keim zu ersticken.
»Die meisten von uns sind Alkoholiker, asozial und bindungsunfähig.«
Ein Raunen ging
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