Schneesterben
Station im Krankenhaus erschienen war. Und das sei auch besser so, hatte der Arzt gesagt – vor allem für die Patienten.
Bremer schob den Einkaufswagen zum Auto und warf die Einkäufe in eine Klappkiste im Kofferraum. Zwei Autos weiter grüßte der bekannteste Lamawollpulloverträger des Landkreises, der Ex-Städter und deshalb geradezu fundamentalistische Landbewohner Moritz Marx. Er grüßte zurück und fuhr los. Beim Bahnübergang standen die Autos vor geschlossener Schranke. Im Radio meldeten sie neue Regenfälle.
Bremer griff nach der Zeitung, die er auf den Sitz neben sich geworfen hatte. Hansens Kollegen vermuteten, daß er ermordet worden sei, und zwar von Mitgliedern einer islamistischen Terrorgruppe, über die er kurz vor seinem Verschwinden berichtet hatte.
»Das ist nun mal der Job«, hörte Bremer Hansen sagen.
Hinter ihm hupte es ungeduldig. Er warf das Blatt beiseite, startete und fuhr los.
Als er die Haustür öffnete, schlug es zehn Uhr. Und die Post war noch immer nicht da. Er räumte das Katzenfutter ins Kellerregal und versuchte sich mit Abwasch, Schuheputzen und Staubsaugen abzulenken – erst vom Gedanken an Michael Hansen. Und dann von der Warterei auf Jens.
Schon vor einer Woche hatte er das letzte Kapitel nach München geschickt und die Lektorin hatte es endlich gelesen. Schon vorgestern wollte sie das Manuskript in die Post gegeben haben, versehen mit Fragen und Anmerkungen. Er hielt die Staubsaugerdüse in Nemax’ Richtung, der vor Schreck einen Satz machte, der ihn aus dem Stand fast auf den Küchentisch befördert hätte. Wo blieb Jens mit der Post?
Wahrscheinlich hörte er sich den neuesten Klatsch aus dem Nachbardorf an. Vielleicht gab es heute etwas ähnlich Aufregendes wie eine Leiche, vom Tauwetter freigelegt. Wenn man sich vor Augen hält, was so ein Postbote alles mitkriegt, dachte Bremer. Er machte den Staubsauger aus, entfernte den Beutel, durchsuchte ihn nach Katzenspielzeug, fand Nemax’ Lieblingsmaus – die mit der Rassel im Bauch – und öffnete die Tür.
Es war naßkalt draußen, die Meisen schaukelten auf den kahlen Ästen des Apfelbaums, Marianne hatte die Bettvorleger aus dem Schlafzimmerfenster gehängt. Er schlurfte in Hausschuhen zur Mülltonne und versenkte den Staubsaugerbeutel. Kurz vor der Haustür streifte ihn ein Sonnenstrahl, der sich im kahlen Gezweig des Apfelbaums brach. Hinter ihm öffnete sich ein Fenster.
»Hast’ gehört?« Mariannes Stimme klang, als ob es was zu lachen gäbe. Die einzige gute Nachricht wäre, wenn Jens und die Post endlich kämen, dachte Bremer und guckte hoch.
»Hat Gottfried nichts erzählt?« Bremer schüttelte den Kopf.
»Heute haben sie Schlange gestanden auf der Bank.«
»Gibt’s da was gratis?«
»In einer Bank ?« Marianne senkte die Stimme. »Nein – der Geldautomat ist kaputt.«
Aha, dachte Bremer. Soso. Der Geldautomat.
»Und weißt du, warum?« Ihre Augen blitzten.
»Mach’s nicht so spannend!«
»Der Automat ist voll-stän-dig ruiniert. Du wirst es nicht für möglich halten.«
»Hatte jemand seine Karte nicht dabei? Oder wollte Erwin seine Geldprobleme mit der Axt lösen?«
»Ach was!« Marianne machte eine Kunstpause. »Es hat jemand reingepinkelt.«
Das allerdings war ziemlich komisch.
Marianne fand das auch. »Und willst du wissen, wer es war?«
»Na hör mal!«
»Er soll auf dem Videoband klar und deutlich zu erkennen sein. Weil er kein Geld mehr aus dem Geldautomaten bekam, hat er sich die Hose aufgemacht und…«
»Also wer?«
»Na, der Jens! Was glaubst du, warum die Post noch nicht da ist?«
Bremer stöhnte auf. »Und wann funktioniert die Briefzustellung wieder?«
»Heute früh haben sie ihn geholt. Keine Ahnung, wann sie ihn wieder gehen lassen. Und ob die Post ihn dann noch nimmt?«
»Sei nicht so schadenfroh, Marianne. Der Jens hat’s nicht leicht.«
Bremer hatte gar nicht bemerkt, daß Gottfried vor dem Gartentor stand, Franz an der Seite, dessen Schwanz mit seinem kleinen runden Hinterteil wedelte. Paul ging hinüber, ließ sich beschnuppern und kraulte dem Tier die weichen Ohren.
»Was heißt schon nicht leicht?«
»Du weißt doch. Bei der Familie.«
»Pflegen da alle auf das zu pinkeln, was sie stört?« Bremer glaubte, in aller Unschuld zu fragen. Aber Gottfried ließ sich kein Lächeln entlocken.
»Komm Oppa«, sagte Marie leise, die neben Gottfried aufgetaucht war, und legte ihm die Hand auf den Arm.
»Jens’ Bruder Martin…« Gottfried stockte.
»Er ist
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