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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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bitten wollte. Aber schon kam Marianne näher.
    »Ist das Vieh bei dir?« rief sie von der Straße her.
    Das Schwein sah Bremer an. Bremer sah zurück. Er fühlte sich hin und hergerissen zwischen Tierliebe und jenem Realismus, den man sich besser angewöhnt auf dem Land, auf dem alle naselang irgendeine Kreatur ums Leben kommt. Als ob es seinen Konflikt verstünde, senkte das Schwein die Augenlider mit den langen Wimpern.
    »Nein!« brüllte Paul zurück und flüsterte anschließend beruhigende Laute, denn das Tier zuckte nervös mit dem Ringelschwanz. Dann trabte es den Gartenweg entlang auf den alten Apfelbaum zu.
    Und wieder quiekte es vom Nachbargrundstück her. Willi brüllte nach Marianne. Auch anderen Schweinen schien es gelungen zu sein, von der Rampe abzuspringen, die in den Viehtransporter führte, mit denen sie zum Schlachter gebracht werden sollten.
    »Sie sind abgelenkt«, flüsterte Bremer dem sich langsam entfernenden wackelnden Hinterteil seines Schweins hinterher. »Wenn du hinten durch die Hecke kriechst und dann über das Feld läufst bis zur Flußaue – und dann…«
    Der rosa Schweinehintern verschwand im raschelnden Laub. Marianne, Willi und Gottfried trieben drei andere Fleischpakete die Hauptstraße entlang. Dann war alles vorbei, der Hänger wurde verschlossen und der Fahrer fuhr hupend aus dem Dorf.
    Mit gerötetem Gesicht und wilden Locken kam Marianne zurück und lehnte sich ans Gartentor.
    »Eins der verdammten Mistviecher ist abgegangen. Du hast nicht zufällig…?«
    Bremer schüttelte den Kopf. Nach der ersten Lüge fiel ihm die zweite nicht mehr sonderlich schwer.
    »Was ist denn bei euch los?« Endlich ließ sich Erwin blicken, nach dem Gottfried soeben noch vergeblich gerufen hatte. Er war leutselig, also nicht mehr ganz nüchtern. Hayder, der dienstälteste kurdische Asylant im Umkreis, kam auf dem Fahrrad vorbei. »Dich hätten wir früher gebrauchen können«, rief Willi ihm zu. Vom Friedhof her sah man drei Frauen mit nickenden Köpfen und wippenden Kinderwagen zur Dorfmitte streben. Und schließlich stand auch Bremer wieder auf der Straße, auf dem Platz zwischen Zigarettenautomat und Dorflinde, auf dem man in Klein-Roda die wichtigen Dinge des Lebens zu verhandeln pflegte.
    Man sprach über die Regierung, das Wetter, den aktuellen Verkehrstoten (19 Jahre, 4 Uhr morgens, 2,1 Promille) – und endlich über das, was alle am meisten beschäftigte: über Krista Regler.
    »Das war nie und nimmer die Krista, die diesen Kerl da umgefahren hat«, sagte Gottfried.
    »Ich weiß nicht. Sie war manchmal so – wie soll ich sagen…« Christine legte Zweifel in die Stimme, die sie wahrscheinlich gar nicht hatte.
    »Wer nicht so ist, wie du das für richtig hältst, ist noch längst keine Mörderin«, sagte Marianne kühl.
    »Na, also du konntest doch mit ihr auch nicht viel anfangen!«
    »Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«
    »Und außerdem ist Krista Regler noch nicht rechtskräftig verurteilt.« Wilhelm, der Ortsvorsteher, verkörperte das legale Gewissen der Dorfgemeinschaft, in der man das Strafgesetzbuch im großen und ganzen für entbehrlicher hielt als den Quelle-Katalog. »Bis dahin gilt die Unschuldsvermutung.«
    »Aber sie hat doch gestanden! Ihr glaubt doch nicht ernsthaft…« Auch Annamaria demonstrierte ein ziemlich robustes Verhältnis zum Rechtsstaat. Weiber, dachte Bremer.
    »Glauben heißt nicht wissen«, beschied Marianne sie knapp.
    »Aber ist das wirklich raus, daß er es nicht war?« Zu seinem Glück entging Alexander der Blick, mit dem Christine ihn bedachte. Bei Männern war Krista beliebt gewesen. Kein Wunder, dachte Bremer.
    »Er hat ja wohl ein Alibi«, sagte Gottfried und guckte Bremer an. Alle guckten Bremer an.
    Der zuckte die Schultern. »Vielleicht. Kommt drauf an, wann Michael Hansen gestorben ist.«
    »Aber das weiß man doch sicher längst! Die Obduktion… Die modernen Ermittlungsmethoden…«
    »Ärzte und Polizisten wissen nur im Fernsehen immer alles ganz genau«, sagte Wilhelm.
    »Also sie hatte sowas – ich weiß nicht…« Katja sah hilfesuchend zu Christine hinüber.
    »Etwas Undurchsichtiges«, sagte Annamaria. Die jungen Frauen nickten. »Und warum sie keine Kinder hatte?«
    Urplötzlich lachte Marianne auf, mit nach hinten geworfenem Kopf. »Wißt ihr, was ihr seid? Verlogene Provinzhühner! Erst ist es der Mann, den ihr verurteilt, und dann macht ihr der Frau den Prozeß. Wißt ihr, was das ist? Mittelalterlich!« Marianne packte

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