Schneesterben
Einheimischen die Hand verbinden, die er sich angeblich beim Holzhacken verletzt hatte.«
Ein Einheimischer. Meine Güte. Wenn Paul das hörte.
»Und was wäre, wenn Krista Regler ihrem Mann ein Alibi verschafft hätte?«
Was wäre wenn. Sie wußte es nicht.
»Und außerdem sind es höchstens fünfzig Kilometer von dort bis zum Bungalow von Hansen.«
»Bei diesem Wetter…«
»Für einen geübten Autofahrer…«
Karen spürte, wie sie unter den Attacken Edith Mannings mürbe wurde. »Regler war laut Zeugenaussage betrunken, es hatte außerdem stark geschneit. Und der Obduktionsbericht…«
»Der Obduktionsbericht. Gut, daß Sie den erwähnen.« Edith Manning hatte sich auf den Besucherstuhl gesetzt und war gleich wieder aufgestanden. »Der Bericht ist voller Unklarheiten. Weder beim Todeszeitpunkt noch bei der Todesursache haben sich unsere Fachmänner festlegen wollen.«
»Schnee konserviert eben gut. Und die Fraßspuren an der Leiche…«
»Ist Hansen nun durch die Kollision mit Reglers Auto zu Tode gekommen oder nicht? Das wird sich doch wohl aufklären lassen!«
Karen blätterte in der Akte. »Hämatome am Unterschenkel, Kreuzbandriß. Das paßt. Impressionsfraktur des Schädels rechtsseitig. Paßt ebenfalls.« Sie blätterte zurück auf die erste Seite. Obduziert hatten – Prof. Dr. Streuch. Und: Dr. Gunter Carstens. Natürlich. Wer sonst?
»Das alles ist nicht unbedingt tödlich.« Die Anwältin blieb hartnäckig.
»Wenn er noch gelebt hätte…«
»Wenn er noch gelebt hätte, als Krista Regler wegfuhr, dann hätten wir es mit versuchtem Totschlag und unterlassener Hilfeleistung zu tun, aber nicht mit vollendetem Mord oder Totschlag.«
»Überzeugen Sie das Gericht«, sagte Karen und klappte die Akte zu.
»Und das Obduktionsprotokoll läßt Fragen offen, was die Schädelfraktur betrifft. Die A-Säule hinterläßt normalerweise eine tonnenförmige Impression.«
Karen zog spöttisch-bewundernd die Augenbrauen hoch. Die Pflichtverteidigerin hatte ihre Arbeit getan.
»Was man im Falle Hansen festgestellt hat, könnte auch auf eine Sekundärimpression hindeuten.«
»Davon habe ich im Obduktionsbericht nichts gelesen, sehr verehrte Frau Rechtsanwältin.« Sie ertappte sich beim Gefühl, Carstens verteidigen zu müssen.
»Wie man’s nimmt. Man hat Lackspuren in der Wunde gefunden, aber auch Substanzen, die nicht notwendigerweise von einem Auto übertragen werden.«
»Frau Manning.« Jetzt stützte Karen sich mit den Handflächen auf den Schreibtisch – typische Positur des Alphamännchens unter Schimpansen und Gorillas, dachte sie – und erhob sich. »Ich weiß nicht, ob ich Ihren Einlassungen folgen kann.«
Die Verteidigerin hatte die Fäuste in die Seite gestemmt und guckte dickköpfig.
»Und außerdem haben wir ein Geständnis.«
»Das Krista Regler erst in dem Moment abgab, als ihr Mann unter Verdacht geriet. Will sie ihn decken?«
»Ach was, sie hat sich noch nicht einmal von ihm besuchen lassen, als sie im Krankenhaus lag!«
»Was verständlich wäre, wenn er ihren Liebhaber auf dem Gewissen hätte!«
Karen ging zum Fenster. Die Manning hatte recht:
Ohne Krista Reglers Selbstbezichtigung hatte die Anklage Löcher wie ein Schweizer Käse. Andererseits…
»Und wenn Krista Regler ihr Motiv deshalb verschweigt, weil Hansen ihr etwas angetan hat, das ihr so nahegeht, daß sie darüber nichts sagen will?« Karen konnte sich plötzlich Dutzende von Demütigungen vorstellen, die eine Frau dazu bringen konnten, einen Mann in rasender Wut zu töten.
»Tja – wenn man sich auf Männer einläßt…« Edith Manning lächelte spöttisch, zog das Jackett gerade, drehte sich um und ging.
Karen bildete sich ein, sie habe die Tür ganz besonders leise hinter sich zugemacht. Sie sah ihr hinterher, ihr Gesicht brannte. Müssen Frauen, die sich aus Männern nichts machen, immer das letzte Wort haben?
13
Klein-Roda
B remer löffelte dem ungeduldig von einer Pfote auf die andere tretenden Nemax eine halbe Dose Katzenfutter in den Freßnapf, als von draußen ein durchdringendes Schreien ertönte. Er hörte Willi nach Marianne brüllen und Gottfried nach Erwin. Dann kam das Quietschen und Schreien näher. Er schob den Riegel zurück und öffnete die Haustür. Draußen stand, mit zitternden Flanken und Schaum vorm Maul, ein Schwein, blaßrosa, mit schwarzen Flecken auf Flanken und Ohren. Nemax war ihm auf die Schulter gesprungen und betrachtete das Tier, das jetzt leise grunzte, als ob es um Asyl
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