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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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und quietschenden Minitraktoren über die Straße. Fehlten nur noch die Müllabfuhr, der Futtermitteltransporter und die Feuerwehrsirene.
    Nemax kam aus dem Haus gelaufen, die Kleine im Schlepptau. »Birdie«, sagte Bremer laut und bildete sich ein, eines ihrer Öhrchen bei diesem Namen zucken gesehen zu haben. Der Kater legte sich wie eine Mutterkatze auf die Seite und bürstete die Kleine mit seiner rauhen Zunge ab, sobald sie sich zu weit von ihm entfernte. Und plötzlich hörte man die Stare auf der Antenne am Nachbarhaus schwatzen und flöten, klang das Läuten der Abendglocken von Groß-Roda herüber, kam ein zarter Duft auf, nicht der aus dem Stall oder von Willis Güllewagen. An der Souvenir de la Malmaison begann sich die erste Rosenblüte zu öffnen.
    Und dann hörte er das Auto. Bremer stand auf und ging zum Gartentor. Der Jeep fuhr langsam die Friedhofstraße hoch. Am Ende der Straße, kurz vor dem Friedhof, bog er rechts ab und verschwand in der Einfahrt zum Haus von Krista und Thomas Regler.
    Gottfried hatte den Garten in der Abwesenheit der Hausbesitzer gehegt und gepflegt, ungeachtet der unfreundlichen Kommentare der Nachbarn.
    »Die läßt sich hier sowieso nie wieder blicken«, behauptete Christine, die keinen Hehl daraus machte, daß der Wunsch die Mutter des Gedankens war.
    »Wovon will sie eigentlich leben, wenn es kein Doktorgehalt mehr gibt?« fragte Marianne, die noch nie verstanden hatte, wie man als Frau ohne »vernünftige Arbeit« leben konnte.
    »Sie kann ja ihr Haus verkaufen!« Christine hielt das für eine prima Idee.
    »Viel kriegt sie dafür nicht«, hatte Gottfried eingewandt. »Bei Ofenheizung. Und der derzeitigen Konjunktur.«
    »Vielleicht sollte sie es mal mit Arbeit versuchen.« Marianne klang spitz, wie immer bei diesen Themen.
    Nur Marie hatte Mitleid. Marie war so. »Und ihr Mann im Gefängnis!« pflegte sie vorwurfsvoll zu sagen, wann immer jemand über Krista sprach.
    »Gut so«, sagte Annamaria dann jedesmal resolut.
    »Siehst du, was ich sehe?« fragte jetzt Marianne, die aus dem Küchenfenster lehnte.
    »Krista«, sagte Bremer. »Sie ist zurückgekommen.« Marianne machte ein Geräusch, als ob sie kein Taschentuch hätte. »Möchtest du ihr vielleicht den roten Teppich ausrollen?«
    Aber Bremer war schon aus dem Gartentor. Er hatte das Gefühl, daß Krista jemand brauchen konnte. Und wenn es nur einer ohne Vorurteile wäre.

28
    JVA Strang
    R egler prallte mit dem Kopf an den Metallrahmen des Bettes über ihm. Einmal. Und noch einmal. Etwas hatte seine Schultern gepackt und zog ihn jetzt vom Bett. Er kämpfte sich aus dem Tiefschlaf hoch und holte Luft. Sein Kopf summte, er spürte, daß warme Feuchtigkeit über seine Stirn lief. Eine Hand legte sich über seinen Mund, eine große, feuchte, nach etwas sehr Vertrautem riechende Hand. Eine andere Hand legte sich in seinen Nacken und drückte ihn zu Boden.
    »Vielleicht sollten wir ihn den Fußboden ablecken lassen?« sagte eine Stimme. Kanter klang amüsiert. »Er sitzt da wie ein braves Hundchen!«
    Thomas hockte auf den Knien und den Ellbogen auf dem Boden, das Blut war ihm in die Augen gelaufen. Ihm war schwindelig vor Angst und Übelkeit. Jemand zündete eine Kerze an. Die Hand im Nacken zog seinen Kopf hoch. Auf der Pritsche vor ihm saßen Akif und Kanter, Harun stand am Fenster im Schatten. Die Hand in seinem Nacken mußte zu Pjotr gehören.
    »Du brauchst eine Lektion, Doktor.« Akifs Stimme schnurrte vor Befriedigung. »Du benimmst dich nicht.«
    »Und sowas will ein Arzt sein!« Kanter klang gemütlich. Regler fuhr die Angst ins Gedärm.
    »Anderen Leuten das Essen aus der Hand schlagen. Sich bekleckern. Wo kommen wir denn da hin? Wenn das alle machen würden!«
    Das war es also. Er hätte gewarnt sein müssen. Spätestens seit gestern.
    Es fing an beim Hofgang, wie üblich war er allen im Weg, jeder stieß ihn an, schob ihn beiseite, sah bestenfalls über ihn hinweg. Aber diesmal bekam er mehr Stöße ab als sonst, schaute er in Gesichter, die hämisch grinsten. Auch im Kraftraum herrschte nicht der übliche Frieden. Dort standen plötzlich Männer Schlange, die er noch nie hier gesehen hatte – ausgerechnet vor der Maschine, die er gerade benutzte. Wollte er auf eine andere ausweichen, war sie besetzt.
    Bei der Kostausgabe fädelte sich immer wieder einer vor ihm in die Schlange ein, bereitwillig vorgelassen von einem Freund. Als er endlich an der Reihe war, sah der Hausarbeiter am Thermowagen ihn nicht an,

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