Schneesterben
tun hatte.
30
JVA Strang
D u gehst heute nicht«, sagte Pjotr, der zugesehen hatte, wie Thomas Trainingshose und Handtuch aus dem Spind nahm. Als Thomas nicht gleich reagierte, spürte er die schwere Hand im Nacken. »Du bleibst hier und machst sauber.«
Wolfgang schlurfte an ihm vorbei zur Tür, die Augen gesenkt.
Dann waren alle draußen. Eule guckte hämisch zu ihm hinüber, bevor er die Tür zuschlug und abschloß. Er war allein.
Zu putzen gab es nichts. Er hatte gestern nacht alles saubergemacht. Regler legte sich auf die Pritsche. Er schnellte im gleichen Moment wieder hoch. Die Decke war klatschnaß. Er fühlte mit der Hand nach und führte sie an die Nase. Man hatte ihm während der Frühstückspause das Bett vollgepinkelt.
Thomas lehnte die Stirn gegen die Zimmerwand und begann, mit den Fäusten auf sie einzutrommeln. Er wollte schreien. Statt dessen flüsterte er seinen Zorn in den Raum, seine Demütigung, seine Angst.
Seine Bücher waren aus dem Regal verschwunden. Die Teebeutel waren weg. Als er sich umdrehte, sah er sie liegen – in einer gelben Lache neben dem Klo.
Als die anderen zurückkamen, hatte er geputzt. Natürlich hatte er geputzt – was sonst? Die nasse Bettwäsche hing über der Heizung; es gab erst in zwei Tagen wieder welche und er hatte keine Lust, den Hausarbeiter schon jetzt um frische zu bitten. Die Matratze hatte er umgedreht, aber der Geruch lud nicht ein, sich aufs Bett zu legen. Er hatte statt dessen die ganze Zeit am Fenster gestanden und hinausgestarrt – auf die trostlose grüne Rasenfläche, auf die Hände, die sich aus anderen Fenstern streckten, auf die Unterwäsche und die Handtücher, mit denen manche winkten. Er hatte den Männern zugehört, die einander etwas zuriefen. Zwei sangen. Und einer schrie. Schrie unartikuliert und heiser und ohne Unterbrechung.
Als die anderen zurückkamen, würdigte ihn keiner eines Blicks oder eines Wortes. Wolfgang ließ den Kopf hängen und wich seinen Augen aus. Es macht nichts, sagte sich Regler. Es ist das Leben. So ist das Leben. Das wirkliche Leben, nicht das, was du in den vergangenen Jahren dafür gehalten hast.
Im Grunde hatte er dem Glück nie getraut.
Nach dem Abendessen begannen Akif, Kanter und Pjotr zu trinken. Sie tranken mit tiefem Ernst, es war nichts Ausgelassenes zu spüren. Sie tranken, als ob sie ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit täten. Harun lief unruhig hin und her. Und Wolfgang lag auf der Pritsche und las.
Thomas stand noch immer am Fenster und starrte in die Dämmerung. Nach einer Weile legte er sich auf die Matratze und versuchte, nicht an die Nässe und nicht an den Geruch zu denken. Er hörte Gläser klingen, Pjotr murmelte etwas, das wie ein russischer Trinkspruch klang, und Kanter erzählte von seinen Jahren bei der Bundeswehr. Akif grunzte, dann gluckerte der Wodka in die Gläser. Er hätte nie gedacht, daß er an diesem Abend einschlafen würde. Aber er mußte eingeschlafen sein. Denn er erwachte wie in der Nacht zuvor: von der schieren Gewalt, mit der man ihn aus dem Bett riß.
Thomas Regler nahm, was folgte, hin, als ob es ihm vorbestimmt gewesen wäre. Pjotr zwang ihn auf die Knie, während Akif sich die Hose öffnete. Er wehrte sich nicht, auch nicht, als Pjotr ihm den Kopf an den Haaren nach hinten zog.
»Sieh an«, sagte Akif nach einer Weile. »Das Schwein kennt sich aus.«
Dann war Kanter an der Reihe. Thomas würgte, des Geruchs wegen und weil der Mann ihm sein Ding gleich tief in die Kehle stieß. Und dann drehte Pjotr ihn um und klemmte seinen Kopf zwischen die Knie. Irgend jemand zog ihm die Hosen herunter. Der erste Schmerz ließ ihn aufstöhnen.
Es ist richtig so, dachte es in ihm. Es muß so sein. Ich habe nichts anderes verdient. Er versuchte, an etwas anderes zu denken. An damals. An Henry. An – Hanni. Und während Kanter hinter ihm grunzte und Pjotr sich seiner von vorne bediente, verstand er plötzlich.
Er hörte Wolfgangs Stimme. »Seid ihr verrückt, um Himmels willen? Wollt ihr ihn umbringen?«
Etwas zerriß. Er versuchte, in die Richtung zu schielen, aus der das Geräusch kam. Harun hielt etwas zwischen den Händen, ein Stück Stoff, und riß es entzwei. Es war das T-Shirt, das Krista ihm geschenkt hatte – damals, in dieser anderen Welt, die so unwirklich war wie das Brautpaar aus Marzipan auf der Hochzeitstorte.
Krista. Sie war in Gefahr. Warum hatte er daran nicht gedacht? Er versuchte zu schreien. Pjotr stieß ihm den Schwanz noch tiefer in die Kehle
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