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Schneesterben

Schneesterben

Titel: Schneesterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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als er ihm den Teller füllte. Das wunderte ihn nicht. Fritz hatte ihm gerade mal die Hälfte der üblichen Portion aufgetan. Bei anderen hätte das einen Aufstand gegeben. Ihm war es nicht nur egal, es war ihm mehr als lieb. Als er sich abwenden und in die Zelle zurückgehen wollte, passierte es.
    »Paß doch auf!« rief jemand hinter ihm. Thomas drehte sich um. Der Kleine mit dem Wieselgesicht aus Haftraum 214 war ihm schon öfter aufgefallen. Er schien ein Kumpel von Kanter zu sein.
    »Das darf ja wohl nicht wahr sein! Was für eine Sauerei!« Der Spinat, das Kartoffelpüree und das Stück Fleisch waren auf dem Boden gelandet. Thomas war sich keiner Schuld bewußt. Er hatte den Mann noch nicht einmal gestreift.
    »Was sagt man denn dazu? Und entschuldigt sich der Kerl vielleicht?«
    Wofür? hatte Thomas gedacht. Er drehte sich um und wollte gehen, als es hinter ihm schepperte. Irgend etwas traf ihn an der Hose. Er sah an sich herab. Die hellbraunen Spritzer mußten das Kartoffelpüree sein, die dunkleren die Sauce und die grünen – er sah auf. Das Wiesel, das seinen Teller mit voller Wucht in das verschüttete Essen geworfen haben mußte, lächelte bös.
    »Sag, daß es dir leid tut!« Um Wieselgesicht hatte sich eine Gruppe interessierter Zuschauer gebildet. Ein Grüner war nirgendwo zu sehen.
    Thomas blickte sich um. Hinter ihm stand nur einer, Wolfgang, der ihm zunickte. Er sah nicht aus, als ob er sich Hoffnung für Thomas machte, im Gegenteil; wahrscheinlich bereute er schon, auf den lahmeren der beiden Kampfhähne gesetzt zu haben.
    »Was bitte soll mir leid tun? Und guck dir mal meine Hose an!« Thomas hatte es fertiggebracht, verhaltene Wut und überlegene Stärke in seine Stimme zu legen. Vielleicht, weil sich zwei Bedienstete näherten. Vielleicht, weil Wolfgang hinter ihm stand. Vielleicht, dachte er, auf den Knien vor Akif und Kanter liegend, in der demütigendsten aller denkbaren Positionen, weil ich da noch einen letzten Funken Selbstwertgefühl in mir hatte. Er versuchte aufzustehen. Aber Pjotr stellte ihm den Fuß ins Kreuz und drückte ihn wieder hinunter.
    Das Bett knarrte, als ob sich jemand aufrichtete. Kanter, vom Geräusch her. Dann sah Thomas zwei Füße vor sich stehen, zwei dunkel behaarte Riesenfüße, die Nägel gelb und schartig. Er hielt die Luft an. »Alles Gute kommt von oben«, sagte Kanter heiter. Pjotr zog seinen Kopf an den Haaren zurück. Der heiße Strahl traf ihn ins Gesicht. Der Geruch war scharf und animalisch. Er holte in Panik Luft, verschluckte sich, würgte. Und dann bäumte sich sein Magen auf. Endlich ließ Pjotr ihn los. Dankbar senkte Thomas den Kopf und übergab sich auf den Boden.
    »Jetzt guck dir das an.« Akif klang begeistert und angeekelt zugleich.
    »Was für eine widerliche Schweinerei.« Der Tritt traf Thomas in die Seite.
    »Nun hört doch endlich auf. Was soll das denn?« Thomas hörte Wolfgangs Stimme wie durch einen Filter. Doch eines vernahm er genau: Wolfgang hatte Angst.
    »Möchtest du vielleicht den Scheiß hier aufwischen?« Wieder hatte Akif dieses Schnurren in der Stimme.
    Und Thomas machte sich an die Arbeit. Nachdem er den Boden aufgewischt hatte – mit seinem T-Shirt und keineswegs gleich zur Zufriedenheit der beiden –, beschlossen sie, daß außer dem Waschbecken auch das Klo eine Behandlung verdiene. Thomas protestierte nicht. Macht, was ihr wollt, dachte es in ihm. Ist schon in Ordnung.
    Als Kanter ins Bett gegangen war, saß nur noch Akif auf der Pritsche und sah ihm zu, wie er auf den Knien vor der Kloschüssel hockte.
    »Doktor?« Akif klang freundlich, das raubtierhafte Schnurren war aus seiner Stimme verschwunden. Thomas drehte sich um. Lessie. Er würde die Rolle Lessies übernehmen müssen. Kurz schloß er die Augen und sagte sich, daß auch das vorübergehen würde. Es war nicht wirklich schlimm. Es tat nicht wirklich weh.
    Dann sah er auf. Akif lächelte. Für einen Moment glaubte Thomas so etwas wie Mitleid zu erkennen. Als Akif sich abwandte, wußte er, daß es Verachtung war.
    »Du machst das schon allein. Ich geh’ jetzt schlafen. Und daß mir keine Klagen kommen morgen früh.«
    Irgendwann später wachte Thomas auf. Er saß neben dem Klo auf dem Boden, die Schlafanzughose naß, die Hände eiskalt. Kanter schnarchte. Wolfgang sprach im Traum. Sein Verstand, der sich vor dem Ansturm der urtümlichsten Gefühle von Erniedrigung und Unterwerfung in die hinterste Ecke verzogen hatte, wagte sich langsam wieder hervor. Das

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