Schneesterben
mit blassem Gesicht unter den dünnen Haaren und hielt ein strampelndes kleines Etwas am Nackenfell. Frieder, der arbeitslose Enkel von Anastasia, schüttelte die zerzauste Katze. »Die Alte hab’ ich schon erledigt! Jetzt ist das kleine Miststück dran!«
»Wo ist Anastasia?«
Das Kätzchen wand sich in der Faust des Mannes und gab keinen Laut von sich.
»Im Krankenhaus. Wo sie hingehört. Fast wäre sie im Sarg gelandet.«
»Was war los?«
»Ich hab’s immer gesagt, daß noch was passiert, wenn man sie allein hier hausen läßt.« Frieder blähte die Nüstern. »Im Nachthemd ist sie auf die Straße gelaufen, als sie es endlich gemerkt hat, daß sie das Haus angezündet hat. Sie hätte tot sein können!«
Man merkte dem Enkel an, daß ihm der Erbfall nicht ungelegen gekommen wäre.
»Dann rückte die Feuerwehr an – und der Krankenwagen –, das halbe Dorf hat zugesehen.«
Bremer streckte die Hände nach der Katze aus. »Und du hast ihr versprochen, dich um die Katzen zu kümmern?«
»Und ob! Ich sorge dafür, daß das Kroppzeug endlich wegkommt! Ihr ganzes Geld hat sie für diese nutzlosen Viecher ausgegeben!«
Statt es in Frieders Bierbauch zu investieren, dachte Bremer und nahm dem Mann das Tierchen ab. Die Kleine schmiegte sich zitternd in seine Hände.
»In welchem Krankenhaus ist deine Großmutter?«
»Heiliggeist. Und da bleibt sie auch!« Frieder funkelte Bremer an. »Und das Mistvieh da will ich nie wieder sehen!«
»Gewiß nicht«, antwortete Bremer und steckte das Tier unter sein Jackett, auf die linke Seite, da, wo es seinen Herzschlag hören konnte. Nach einer Weile spürte er ein sanftes Vibrieren auf seiner Handfläche. Die Kleine schnurrte. Und obwohl er wußte, daß er eigentlich Anastasia besuchen sollte, brachte er als erstes das kleine Wesen in Sicherheit.
Die Katze hielt still während der Fahrt. Zu Hause machte sie sich gierig über das Schälchen Katzenmilch her, das er ihr hinstellte. Und dann kam Nemax durch die Katzenklappe gesprungen und stand wie eine Statue da, die Barthaare vibrierend, die Ohren hochgestellt.
Das Kätzchen duckte sich, hielt für eine Schrecksekunde still, rollte sich dann auf den Rücken und langte mit den dicken weichen Pfoten nach Nemax’ Nase. Der Kater senkte den Kopf. Und schließlich begann er, die Kleine abzulecken. Bremer war völlig unpassend und ganz und gar übertrieben gerührt.
Er machte sich ein verspätetes Frühstück und ging, ohne große Hoffnung, zum Briefkasten. Sie hatte tatsächlich geschrieben. Eine Karte, wie immer. »Wish you were here«, in ihrer schönen verrückten Handschrift. Er drehte die Karte um. Der Grand Canyon bei Mondlicht. Ach Anne. Komm doch mal wieder vorbei. Die Rosen blühen bald. Dann riecht man Willis Schweine nicht mehr. Und wir trinken Wein und sitzen in der Sonne, bis sie hinter Beckers Haus steht. Dann nehmen wir unsere Gläser und gehen mit den Katzen hinüber zur Flußaue und lassen die Sonne in aller Ruhe unterm Abendrot verschwinden.
Irgendwann wird Anne fragen, was denn hier so streng riecht, dachte Bremer ernüchtert. Der neue Schweinestall von Bauer Knöß? Nebbich. Das, was sie an ihren Schuhen hat. Hundescheiße.
Er setzte sich an den Gartentisch in die Sonne. Gegenüber röhrte eine Maschine auf. Erwin hatte seinen begehbaren Rasenmäher wieder in Gang gebracht, mit dem er alle drei Tage über seine Wäschewiese fuhr. Wäschewiese? Golffähig war der Rasen des Nachbarn, ein Green, das seinesgleichen suchte.
Und wie aus Solidarität erklang ein Husten und Knattern direkt nebenan. Seit Marianne nicht mehr morgens und abends die Kühe auf die Weide und in den Stall trieb, mit diesem unvergeßlichen, Sehnsucht erzeugenden »Aaaauf!« – Bremer war es, als ob er das Klatschen des Buchenstocks auf den Hinterteilen der trödelnden Tiere hören konnte, das Geräusch wie brechende Äste, das ihre Hufe auf dem Asphalt der Straße machten, das Platschen, mit dem sie einen Fladen zu Boden ließen –, seit Marianne weniger zu tun hatte, beschäftigte auch sie sich mit dem, was Bremer für besonders unnütz hielt. Mit dem makellosen Grünzeug neben ihrem Haus, das ihr neuerdings weit wichtiger zu sein schien als der Bauerngarten, in dem neben Gemüse wenigstens noch Flieder, Pfingstrosen, gelbe Tagetes und Gladiolen wuchsen.
Es herrschte Landfrieden. Die Schweine schrien. Zwei Helikopter rödelten über das Dorf hinweg. Ein Trupp von Kleinkindern brach aus dem Hof von Katja und kurvte auf polternden
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