Schneestille
Zumindest glaube ich das. Worauf ich damit hinauswill, ist, hier können wir unsere eigenen Geschichten erfinden. Wir brauchen uns nichts von anderen erzählen zu lassen und … Hast du das gehört?«
»Was soll ich gehört haben?«
Jake war aufgesprungen und ging zügig ans Fenster. »Ich würde schwören, ich habe einen Hund bellen gehört.«
»Einen Hund?«
»Ja, einen Hund. Ich habe ihn bellen gehört. Klar und deutlich. Das Echo hat über den Schnee bis hierher gehallt.«
Sie trat zu ihm ans Fenster. »Ich habe nichts gehört.«
»Es war aber keine Einbildung.«
»Das habe ich auch nicht gesagt.«
»Ich weiß, dass du das nicht gesagt hast. Ich habe mir nur selbst gesagt, dass es keine Einbildung war.«
»Ich sehe da draußen überhaupt nichts.«
»Da war ein Hund. Zumindest war da ein Bellen. Ich gehe raus und schaue nach.«
Sie zuckte die Achseln und ließ ihn nach draußen gehen, setzte sich ans Feuer und wartete. Sie trank einen großen Schluck der kardinalsroten Robe. Das Feuer loderte lautlos in der Feuerstelle, ohne zu knacken oder zu zischen: saubere, orangerote Flammen, die wie lange Finger um die Rundungen der Scheite fassten und sich fast liebevoll an das Holz schmiegten. Sie wendete sich vom Feuer ab, schaute aus dem Fenster und sah Jake durch den Schnee stiefeln.
Nach einer Weile war er wieder da. »Nichts«, sagte er niedergeschlagen.
»Tja.«
»Ich hätte es schwören können.«
»Trink noch ein Glas Wein.«
Gemeinsam machten sie die Flasche leer. Nun schmeckte der Rotwein nach vielen köstlichen Dingen.
»Es wäre gut«, meinte er.
»Was wäre gut?«
»Wenn ein Hund da wäre.«
Sie nahm seine Hand in ihre. »Meinst du, das können wir je hinter uns lassen? Die Traurigkeit? Das Bedauern?«
In einem Zug trank er sein Glas leer und stellte es auf den Tisch. »Komm, lass uns rausgehen und uns ein bisschen amüsieren.«
Mit dem Schlepplift zuckelten sie zu einer einfachen Abfahrt und fuhren dann gemeinsam den ganzen Weg hinunter. Danach entschieden sie sich für einen steilen roten Hang und sausten in schnittigen präzisen Schwüngen bergab, wobei Zoe versuchte, in Jakes Spur zu fahren, und anschließend tauschten sie und machten es umgekehrt. Schließlich landeten sie auf dem Snowboard-Gelände und versuchten sich an ein paar kleinen Sprüngen. Ihre Skikünste schienen sich, gemessen an der kurzen Zeit, die sie auf Skiern verbrachten, völlig disproportional gesteigert zu haben. Zoe meinte, in der Erinnerung sähe man sich immer als besserer Skifahrer denn im wahren Leben. Jake konnte ihr nur beipflichten, sagte aber, er könne sich nicht daran erinnern, so gut gewesen zu sein. Skifahren war für sie beileibe nichts Müheloses, aber ihre technischen Fähigkeiten und ihre Geschicklichkeit überraschten sie selbst immer wieder.
Auf dem Snowboard-Gelände gab es eine Lautsprecheranlage, mit der man den ganzen Hang beschallen konnte. Jake entdeckte eine Jimi-Hendrix-CD, drehte die Lautstärke auf, und dann rasten sie den restlichen Nachmittag wie die Verrückten über den Snowboard-Parcours, sausten durch Half-und Quarter-Pipes, hopsten über Rampen und Tabletops: Beide hatten als Snowboarder angefangen, waren dann aber der höheren Geschwindigkeit wegen auf Skier umgestiegen.
Ein paar Stunden später fing es schließlich an zu dämmern. Jake wollte die Musik laufen lassen, aber Zoe beharrte darauf, sie auszuschalten. Sie sagte, sie wollte gerne den Mond und die Sterne auf dem Schnee hören, und das klang in diesem Moment so richtig, dass er nicht widersprach. Auf leisen Skiern glitten sie zurück zum Hotel.
Am Fuß des Hangs angekommen, bellte ein Hund, glasklar in der klirrenden Kälte. Das Bellen schien in der eisigen Luft zu hängen.
»Diesmal habe ich es auch gehört, Jake!«
»Da drüben. Bei den Bäumen.«
»Da ist er!«
Am Fuß der Skipiste war eine kleine Baumgruppe, die zwei Idiotenhügel voneinander trennte. Ein mittelgroßer schwarzer Hund saß da, die Schnauze himmelwärts gerichtet, die Vorderbeine zwischen den Hinterläufen. Erneut bellte er; und das Bellen hallte wider und schallte durch die kalte Luft der Abenddämmerung zu ihnen hinüber. Der Hund leckte sich die Lefzen, und die rote Zunge leuchtete im Halbdunkel des vergehenden Lichts.
Jake pfiff dem Hund. »Komm her, komm her.«
Der Hund stand auf und wedelte; schien aber zu zögern, sich ihnen zu nähern. Jake stieß sich mit den Skiern ab und glitt auf den Hund zu, pfeifend und rufend. Wieder
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