Schneestille
den Kristallvasen schienen genauso wenig Gefahr zu laufen zu welken wie das Essen in der Küche. Barfuß tappte sie über den Läufer im Flur und drückte den Knopf für den Aufzug.
Die Türen des Fahrstuhls öffneten sich, und als sie den Knopf für das Erdgeschoss drückte, erklang der melodische Gongton. Sie hatte sich viele Gedanken gemacht, wie sie einen ganz normalen Alltag aufrechterhalten könnte. Das war die beste Methode, nicht den Verstand zu verlieren. Sie wollte wieder auf die Piste. Jake schien sich wesentlich mehr Gedanken darüber zu machen als sie, was die wahre Natur ihres gegenwärtigen Daseins betraf. So hatte er beispielsweise laut darüber nachgedacht, ob sie nun für alle Ewigkeiten hierbleiben würden. Wenn ja, hatte er gesagt, gäbe es womöglich das eine oder andere, was er außer Skilaufen noch gerne machen würde.
Da konnte Zoe ihm nur zustimmen. Wobei sie sich gerade fragte, was dieses »eine oder andere« in einem Skiort wohl sein könnte, als der Aufzug im Foyer anhielt und die Türen aufgingen. Zoe schnappte nach Luft und schlug sich die Hand vor den Mund.
Das ganze Foyer war voller Menschen. Laut und lebhaft plappernd drängelten sie sich um die Rezeption. Die meisten trugen Skianzüge, aber manche waren auch ganz normal gekleidet, standen in einer Schlange vor der Rezeption und rückten mit ihren schweren Koffern schrittchenweise auf.
Zoe trat aus dem Fahrstuhl mitten hinein in das turbulente Treiben und hielt sich die Hand noch immer fest vor den Mund. Hinter der Rezeption standen drei Hotelangestellte in schicker Uniform und kümmerten sich mit leicht gestressten Gesichtern um die Neuankömmlinge. Eine junge Rezeptionistin, die Haare zum Pferdeschwanz gebunden, drückte sich einen Telefonhörer an das eine Ohr, während sie sich mit der freien Hand das andere zuhielt. Eine etwas ältere Dame mit kupferroten Haaren und schwarzrandiger Brille zog derweil die Kreditkarte eines neuen Gastes, der in der Schlange wartete, durch das Lesegerät. Die dritte Frau versuchte angestrengt, den Hotelmanager zu verstehen, einen dünnen Mann im grauen Anzug, der ihr in dem ganzen Lärm und Durcheinander im Foyer etwas zu erklären versuchte.
Draußen vor den Glastüren des Hotels fuhr ein moderner Reisebus vor. Zoe hörte das Zischen der Druckluftbremsen, als er abrupt anhielt und abgestellt wurde. Die Türen sprangen auf, und der Bus spuckte noch mehr Neuankömmlinge vor dem Hotel aus.
Derweil sah Zoe, dass der Concierge, den sie noch von ihrem Ankunftstag kannte, mit einem anderen Gast beschäftigt war. Er beugte sich über sein helles Holzpult, das gleich neben der Empfangstheke stand, und kritzelte rasch etwas auf einen gelben Zettel. Seine Hoteluniform in Kastanienbraun und Grau glänzte matt, und auf seinem kahlen Schädel spiegelte sich die Deckenbeleuchtung. Ihm standen ein paar kleine Schweißperlen auf der Stirn.
Zoe wurde vom Concierge abgelenkt, als ein Mann auf sie zukam und ihr anzüglich zuzwinkerte. Im Vorbeigehen wehte ein Hauch seines Aftershaves zu ihr herüber und erinnerte sie daran, dass sie nur mit einem Bademantel bekleidet inmitten all dieser Leute stand. Sofort raffte sie den Frotteestoff zusammen und zog den Gürtel enger. Die Leute um sie herum plauderten angeregt auf Französisch, aber zwei Damen in Skikleidung, etwas näher an der belagerten Rezeption, unterhielten sich auf Englisch. Zoe hörte das Wort »Lawine«.
Neugierig trat sie auf die beiden Engländerinnen zu.
»Entschuldigen Sie«, sagte Zoe, »habe ich das richtig verstanden, dass noch eine Lawine abgegangen ist?«
Die eine Frau drehte sich zu ihr um. Ihr Gesicht war gerötet, als sei sie gerade erst vom Berg zurückgekommen. Um die Augen hatte sie Lachfältchen, die verrieten, dass sie nicht mehr ganz jung war. Sie nickte heftig. »Ja, ganz früh heute Morgen.«
»Aber war das eine weitere Lawine? Eine neue?«
Die Frau kam nicht dazu, ihr zu antworten, denn die junge Rezeptionistin mit dem Pferdeschwanz und den streng zurückgekämmten Haaren rief die beiden zu sich. Zoe blieb allein stehen und zog sich den Bademantel noch fester um die Schultern.
Die Menschen im Hotelfoyer schienen mitnichten verängstigt. Nein, sie wirkten eher freudig aufgeregt. Als Zoe sich umdrehte, sah sie draußen eine weitere Busladung Urlauber aussteigen. Sie ließ den Blick durchs Foyer schweifen, und der glatzköpfige Concierge schaute von seinen Unterlagen auf, und sein Blick fiel sofort auf sie. Mit hochgezogenen
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