Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneestille

Schneestille

Titel: Schneestille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Joyce
Vom Netzwerk:
über sie hinweg. Sie blieben unter dem Tisch, hielten sich eng umschlungen und den Hund in den Armen.
    Es dauerte keine Minute, da war der Lärm der Lawine einem tiefen Brummen gewichen und schließlich gänzlich verstummt. Doch die darauffolgenden Geräusche waren nicht so leicht zu bestimmen. Man hörte drei dumpfe vernehmliche Schläge an der Außenwand des Restaurants, und dann ein kratzendes, rutschendes Geräusch, als würde ein Vogel auf dem Dach nach Brot scharren. Dann wurde alles still.
    »Was war das gerade?«
    »Weiß ich auch nicht. Warten wir lieber noch ein bisschen.«
    Sie blieben unter dem Tisch, bis sie sich sicher genug fühlten, die Lage zu sondieren. Jake kroch hervor und schaute unbehaglich zum Dach hinauf. Dann trat er an die Wand, die die Hauptlast des Schnees abgefangen und ihr widerstanden hatte. Putz und Dachlatten waren eingedrückt, und der Schnee hatte sich in die Ritzen der Außenbalken gezwängt, mit langen weißen Fingern hineingegriffen, um ins Innere des Restaurants zu gelangen. Es war, als hätte der Schnee versucht, nach ihnen zu greifen.
    »Sieh dir das an!«
    Durch die Tür, zu der sie hereingekommen waren, kamen sie nicht mehr hinaus. Eine massive Schneewand versperrte ihnen den Weg. Also gingen sie durch die Hintertür in der Küche und liefen um das Restaurant herum zur anderen Seite, wo der Schnee sich an der Hauswand zu einem riesigen Berg aufgetürmt hatte.
    Zoe wollte gerade anmerken, das sei nun schon die zweite Lawine, die sie überlebt hatten, als ihr wieder einfiel, dass sie die erste ja gar nicht überlebt hatten. Also meinte sie nur: »Kann man eigentlich zweimal sterben?«
    Er drehte sich zu ihr um und schaute sie an, dann schnaubte er.
    »Meinst du, das ist wie die vielen Häute einer Zwiebel? Meinst du, wenn diese Lawine uns erwischt hätte, dann wären wir immer noch hier? Oder wären wir woanders? Einmal habe ich geträumt, und im Traum bin ich ins Bett gegangen und eingeschlafen und habe geträumt. Und ich wusste es. Ich wusste, dass ich im Traum träume. Meinst du, das hier ist so ähnlich? Was meinst du?«
    »Geht’s dir gut?«, erkundige er sich und schaute sie mit zusammengekniffenen Augen an.
    »Bestens.«
    »Du plapperst Blödsinn, darum frage ich.«
    »Mir geht’s prima. Die Geschichte vorhin, als ich dachte, die ganzen Leute seien wieder da, das hat mich echt umgehauen, Jake.«
    »Sollen wir uns vom Acker machen?«, meinte Jake. »Für heute habe ich die Nase voll vom Sterben.«
    »Die Nase voll vom Sterben?«
    »Von Skifahren. Ich sagte, ich habe die Nase voll vom Skifahren.«
    »Nein, du hast gesagt, ›vom Sterben‹.«
    »Nein, habe ich nicht.«
    »Hast du wohl. Du hast vielleicht Skifahren gemeint, aber du hast Sterben gesagt.«
    »Zoe, du hast gerade eine Lawine überlebt, und du redest wirres Zeug.«
    »Gar nicht wahr. Ich bin gesund wie ein Fisch im Wasser. Ich weiß ganz genau, was ich sage, und ich weiß ganz genau, was du gesagt hast.«
    »Können wir jetzt bitte gehen?«
    »Klar können wir gehen. Lass uns Sadie holen.«
    Sie gingen wieder nach drinnen, konnten sie aber nirgends finden. Sie war wie vom Erdboden verschluckt. Sie suchten überall und riefen nach ihr. Dass ihr nichts passiert war, wussten sie, schließlich hatte sie mit ihnen unter dem Tisch gekauert. Und sie war nicht eher rausgekrochen als sie selbst. Und doch war sie nirgendwo zu sehen.
    »Sie muss rausgelaufen sein.«
    Also suchten sie vor und hinter dem nun halb eingestürzten Restaurant nach Sadie, riefen nach ihr, riefen ihren Namen durch die immer länger werdenden Schatten der Bäume hindurch in die Kälte hinein. Es war keine Spur von ihr zu sehen und auch keine Pfotenabdrücke. Jake war am Boden zerstört, dass sie so einfach verschwunden war, kam aber zu der Überzeugung, dass sie den Berg hinuntergelaufen sein musste.
    Ein letztes Mal schaute Zoe sich im Restaurant um. Während sie drinnen unter den Tischen nachschaute, hörte sie einen der brennenden Holzscheite in der Feuerstelle knacken. Sie drehte sich um und warf einen Blick auf das Feuer. Das Scheit, das so lange unverändert auf den anderen gelegen hatte, war nun durchgebrochen und heruntergefallen und einen kleinen Zentimeter von seinen Kumpanen fortgerollt.
    Nur einen kleinen Zentimeter.

8
    Sadie erneut zu verlieren war ein schwerer Schlag für Jake. Unablässig zerbrach er sich den Kopf darüber, wo zum Teufel sie abgeblieben sein könnte. Auch Zoe war enttäuscht, dass der Hund verschwunden war. Um

Weitere Kostenlose Bücher