Schneestille
Händen klappte sie das Telefon auf, und die blau beleuchtete quadratische Anzeige verkündete: Unbekannte Nummer.
»Unbekannte Nummer«, murmelte sie leise.
Sie drückte die Taste, um das Gespräch anzunehmen, und hielt sich den Hörer ans Ohr. Eine Stimme war zu hören. Die Stimme eines Mannes.
»Tut mir leid … Tut mir leid …« Verzweifelt schüttelte sie den Kopf. »Langsam, bitte! Je m’excuse, lentement, s’il vous plaît. Plus lentement … Pardonnez-moi, monsieur … Je ne comprends pas.«
»Was ist denn los?«, rief Jake aus dem Badezimmer.
»Da ist ein Mann.«
»Was?«
»Ich kann ihn nicht verstehen, er hat so einen starken Akzent … Monsier, monsieur, s’il vous plaît, parlez plus lentement … Nein, nein!«
Die Verbindung war plötzlich tot. Zoe hielt das Handy auf Armeslänge von sich weg und starrte es an, das Ding in ihrer Hand, als habe sie sich daran verbrannt.
Jake war aus dem Badezimmer gekommen, hielt sich in einer ziemlich lächerlich wirkenden Geste die Hose hoch und wollte wissen, mit wem sie da geredet hatte.
»Mit einem Mann.«
»Einem Mann?«
»Ja, mit einem Mann.«
»Ein Mann? Was hat er gesagt?«
»Ich weiß es nicht, ich konnte ihn nicht verstehen.«
»Aber … Himmel!«
»Ich weiß es nicht! Ich weiß es einfach nicht!«
»Aber er … War es Französisch? Hat er Französisch gesprochen?«
»Möglich! Aber ich konnte ihn nicht … Er hatte so einen … Und die Verbindung war so schlecht. Ich hab nicht verstanden, was er gesagt hat.«
»Kannst du ihn nicht zurückrufen? Kannst du ihn nicht einfach zurückrufen?«
»Die Nummer war unterdrückt.«
»Bekommst du eine Verbindung nach draußen? Vielleicht kannst du ja noch mal versuchen, jemand anderen anzurufen?«
Jake stand nun direkt vor ihr, die zitternden Finger nur Zentimeter von ihrem silbernen Handy entfernt, als wolle er es ihr aus der Hand nehmen. »Aber wenn jemand angerufen hat … Ich meine, zu Hause aus England. Ruf jemanden zu Hause an. Probier’s doch einfach mal.«
»Okay. Okay. Aber Jake – was, wenn er noch mal versucht anzurufen? Der Mann. Was, wenn er noch mal versucht, mich zu erreichen? Sollten wir nicht lieber die Leitung freihalten?«
Die Hände seitlich fest an den Kopf gepresst, ließ Jake sich auf das Bett fallen. »Ja … Ja, halte sie frei. Vielleicht versucht er ja gerade, noch mal anzurufen.«
Zoe legte das Telefon auf den Tisch. Dann sank sie neben Jake aufs Bett und klammerte sich an seinen Arm. Gemeinsam warteten sie, starrten das Handy auf dem Tisch an, wollten es mit schierer Willenskraft zum Klingeln zwingen und hatten doch Angst davor, es könne tatsächlich läuten.
Zwanzig Minuten lang ließen sie das Telefon nicht aus den Augen. Dann seufzte Jake und schlug vor, sie sollten versuchen, nach England durchzukommen. Was sie dann auch taten, allerdings mit demselben Ergebnis wie zuvor auch schon. Es klingelte, aber niemand ging ran.
»Wie hat der Mann sich denn angehört?« Jake wollte unbedingt weitere Details erfahren.
»Er war kaum zu verstehen.«
»Aber er war Franzose?«
»Möglich.«
»Oder Katalane?«
»Könnte auch Katalane gewesen sein. Oder Okzitane, was weiß denn ich?«
»Hat er Französisch gesprochen?«
»Wenn ja, dann mit starkem Akzent, und die Verbindung war so schlecht, dass ich überhaupt nichts verstanden habe.«
»Aber wie hat er sich denn angehört? Wie war sein Gebaren?«
»Sein Gebaren?«
»Ja, verdammt, sein Gebaren! Klang er aufgeregt? Ruhig? Dringlich?«
»Aufgeregt hat er nicht gewirkt. Aber auch nicht ruhig.«
Jake nahm ihr das silberne Handy aus der Hand und schaute es sich an, als wolle er es zwingen, ihm mehr Einzelheiten zu verraten, als es konnte.
Beiden war nicht nach Schlafen zumute. Also zogen sie sich wieder an und gingen nach unten. Immer wieder fragte Jake ihr Löcher in den Bauch, was das Telefonat betraf. Er hatte es nicht klingeln, sondern nur Zoe reden gehört. Sie fragte ihn, wie es sein konnte, dass er das Läuten nicht gehört hatte. Sie war fast wütend auf ihn, dass er es nicht gehört hatte. Ihr war das wichtig. Hätte er es gehört, dann konnte sie sich das alles nicht bloß eingebildet haben.
»Meinst du, du könntest dir das alles nur eingebildet haben?«
»Das ist so eine blöde Frage!«
»Gar nicht. Denk doch nur mal dran, was heute Morgen passiert ist.«
Aber sie überhörte geflissentlich seine Anspielung auf die Geschehnisse des Vormittags. Oder die Nicht-Geschehnisse. »Ich habe mir
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