Schneesturm und Mandelduft
protestierte Vivi. Gustav wehrte ihren Einwand mit einer Handbewegung ab. Auch er hatte einen fiebrigen Glanz in den Augen.
»Vielleicht gerade deswegen. Das macht es doch nur viel wahrscheinlicher, dass Matte ihn umbringen wollte. Wer weiß, was in seinem Kopf vorgeht? Werden die Leute nicht meistens von den nächsten Angehörigen ermordet?«
Bernard und Gustav nickten sich zufrieden zu. Miranda sah noch immer ein wenig unsicher aus. Sie wirkte nicht so überzeugt, obwohl sie als Erste diesen Gedanken vorgebracht hatte.
»Aber …«, sagte sie und blickte ihre Mutter um Unterstützung bittend an, bevor sie fortfuhr: »Was sollte er für ein Motiv haben?«
»Geld, Rache, eingebildete Beleidigungen – was weiß ich«, sagte Bernard achselzuckend.
»Ich weiß nicht recht«, sagte Miranda und zupfte an einem Sofakissen herum. »Ich weiß nicht …«
»Aber ich«, erwiderte Bernard und stand auf. »Ich rede jetzt mit Lisettes Polizisten, damit ihm mal ein Licht aufgeht. Und es würde mich wundern, wenn ihn das nicht interessiert.«
»Aber …«, begann Miranda erneut und schien noch mehr in petto zu haben. Doch Bernard war bereits auf dem Weg zur Tür.
Sie wünschte auf einmal, sie hätte den Mund gehalten. Eigentlich mochte sie Matte ja. Und so schlimm stand es auch wieder nicht um ihn. Himmel, fast jeder in ihrem Bekanntenkreis hatte schon einmal einen Zusammenbruch erlebt, Prozac oder Ähnliches zu schlucken war durchaus legitim und ganz gewiss nichts, womit man groß hinter dem Berg hielt. Im Gegenteil. Es war auch nicht weiter erstaunlich, dass Matte sich auf Bernard gestürzt hatte. Sie liebte ihren Bruder, aber er konnte ziemlich provozieren. Er besaß ein untrügliches Gespür für die Schwachstellen der anderen und genoss es auf eine gewisse perverse Art, damit zu spielen.
»Was werden Harald und Britten bloß sagen, wenn sie hören, dass Bernard Matte als Mörder beschuldigt?«, fragte Vivi ängstlich.
»Die sollen sagen, was sie wollen«, erklärte Gustav und schwenkte wieder sein Cognacglas. »Matte ist labil und offenbar aggressiv, da ist es nur logisch, ihn für den wahrscheinlichsten Kandidaten zu halten.«
»Aber ein Mörder …«, sagte Vivi und blickte Miranda flehend an.
»Da muss ich Mama zustimmen«, hörte sich Miranda zu ihrer großen Verwunderung sagen. Es kam nicht oft vor, dass sie und Vivi einer Meinung waren, aber ausnahmsweise schienen sie auf einer Seite zu stehen. »Ja, ich weiß, dass ich die Idee als Erste aufgebracht habe, doch − nein, ich kann mir Matte nicht als kaltblütigen Mörder vorstellen.«
»Frauenzimmer«, schnaubte Gustav und trank einen großen Schluck von dem goldgelben Getränk, bevor er fortfuhr. »Ihr seid immer so gutgläubig. Was glaubt ihr eigentlich, wie Mörder aussehen? Wüste Strolche mit großem Bart und einer Menge Tätowierungen? Nein, ich glaube, dass Matte nur allzu fähig ist, jemanden umzubringen.« Er lehnte sich zufrieden im Sessel zurück und schien zu denken, dass das letzte Wort gesprochen war.
Miranda und Vivi tauschten einen verständnisinnigen Blick. Die Sache gefiel ihnen nicht. Gar nicht.
»Haben wir etwas falsch gemacht?«, fragte Britten leise. Sie hatte mit Harald im Speisesaal Zuflucht gesucht, um den anderen eine Weile zu entkommen. Matte und Lisette waren in ihre Zimmer hinaufgerannt, Gustav und seine Familie saßen in der Bibliothek und kosteten sicherlich diese Aufregung aus. Aus dem Augenwinkel sah sie Martin Molin, der sich in der Küche mit den Wirtsleuten unterhielt. Harald saß ihr gebeugt gegenüber, sein Gesicht war aschgrau. Sogleich überkam sie wieder die Sorge.
»Geht es dir gut?«, fragte sie und legte Harald die Hand auf den Arm.
Er lächelte gezwungen.
»Mach dir keine Sorgen.«
»Du weißt genau, dass ich mir welche mache.«
»Ja, das weiß ich.« Harald lächelte erneut und strich ihr über die Hand, eine Geste, die sicherlich beruhigend gemeint war, aber nicht funktionierte.
»Hier kommt ein wenig Kaffee. Bedienen Sie sich einfach.«
Kerstin stellte ein Tablett mit Thermoskanne und Tassen auf den Tisch an der Wand, dann verschwand sie wieder in der Küche.
»Willst du einen Kaffee?« Britten stand auf und ging zum Tisch. Harald nickte zustimmend, und sie goss zwei Tassen ein, schwarz für sie, Milch mit zwei Zuckerstückchen für Harald. All die Jahre hatte sie versucht, ihm den Zucker im Kaffee auszureden, hatte aber irgendwann einsehen müssen, dass sie diesen Kampf verloren hatte.
»Hast du
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