Schneesturm und Mandelduft
sie alle informieren, sobald die Zeit dazu da war, wollte es aber im eigenen Takt tun.
Er ging zu dem Tisch mit der Kaffeekanne und schenkte sich eine Tasse ein, bevor er sich auf dem Sofa niederließ. Lisette hatte den Platz zu Füßen ihrer Mutter verlassen. Sie saß nun am anderen Ende des Sofas und starrte mit glasigem Blick zu Boden. Martin streckte eine Hand aus und strich ihr über den Arm, der auf dem Sofakissen neben ihr lag. Sie reagierte nicht, stieß seine Hand aber zumindest nicht weg. Martin wurde klar, dass er seine Pflichten als Freund aufs Gröbste vernachlässigt hatte. Als Exfreund wohlgemerkt, doch er hatte nicht einmal versucht, sie zu trösten.
Hinter sich hörte er, wie Bernard seinem Vater von dem Buch auf dem Nachtkästchen erzählte, und Martin beeilte sich, ihm zuvorzukommen.
»Scheinbar war im Laufe des Tages jemand in Bernards Zimmer. Zumindest behauptet Bernard das«, konnte er sich nicht verkneifen, hinzuzufügen, »und dieser Jemand hat offenbar ein Mobiltelefon mitgenommen und ein Buch auf den Nachttisch gelegt. Wer kann etwas dazu sagen?« Martin sah sich in der Bibliothek um. Tiefes Schweigen. Britten schien die Frage nicht gehört zu haben. Bernard und Gustav schüttelten nur den Kopf. Vivi und Miranda saßen ihm auf dem Sofa gegenüber und wirkten ebenfalls sehr abwesend. Miranda war leichenblass, und Martin erinnerte sich plötzlich an den seltsamen Gesichtsausdruck von ihr und ihrer Mutter, als er ihnen auf der Treppe begegnet war. Noch etwas, was er genauer unter die Lupe nehmen musste.
»Was war das für ein Buch?«, fragte Lisette und blickte Martin an.
»Etwas mit Sherlock Holmes. Ein Sammelband, glaube ich.«
Lisette kicherte. Ein hohles, merkwürdiges Kichern. »Das gehört bestimmt Großvater. Er war ganz besessen von Sherlock Holmes.«
»In jüngeren Jahren war er Vorsitzender einer Sherlock-Holmes-Gesellschaft«, fügte Harald hinzu. »Und danach blieb er Mitglied. Ich hatte immer das Gefühl, dass die Gesellschaft – und sein Interesse dafür – nur ein Vorwand war, damit sich eine Gruppe alter Männer einmal im Monat treffen konnte, um über Gott und die Welt zu reden und dabei Whiskey zu trinken.«
»Nein, das war ein aufrichtiges Interesse.« Brittens Stimme war noch immer kaum hörbar. »Es hat auf Matte abgefärbt, und sie diskutierten immer über die Bücher, wenn sie sich freitags trafen.«
»Aber haben Sie denn keine Ahnung, wer das Buch dorthin gelegt haben könnte und weshalb?« Keine Antwort.
Gustav räusperte sich. »Keine Spur von der Pistole?«
»Nein, leider nicht.« Es wurde wieder still. Alle waren im Raum versammelt, und zum ersten Mal wurde es Martin richtig klar. Eine der Personen war ein Mörder. Es gab keine andere Alternative. Zwei Männer lagen tot in der Kühlkammer. Der eine vergiftet, der andere erschossen, und Jemand musste die Morde begangen haben, und dieser Jemand musste sich in diesem Raum befinden. Ein Schauer durchlief Martin. Ein furchtbarer Gedanke.
»Was passiert, wenn wir aufs Festland kommen?« Miranda stellte die Frage, die vermutlich alle beschäftigte.
»Sie werden von meinen Kollegen auf der Polizeistation verhört. Die Techniker fahren hierher und machen die notwendigen Untersuchungen.« Er zögerte, fuhr dann aber fort: »Ruben und Matte werden in die Rechtsmedizin gebracht und obduziert. Hoffentlich können wir den Fall relativ schnell aufklären.«
Miranda nickte. Ihr Blick wanderte von einem zum anderen, und sie schien dasselbe zu denken wie Martin. Es war, als sähe sie ihre Verwandten zum ersten Mal. Dann blickte sie zu ihrer Mutter, und wieder bekam sie diesen merkwürdigen Gesichtsausdruck. Vivi ihrerseits sah Martin an, und er las in ihrer Haltung eine Ruhe, die er zuvor nicht wahrgenommen hatte. Viel von ihrer Nervosität schien verschwunden zu sein, und seine Neugier war endgültig geweckt. Er beschloss, dieser Sache auf den Grund zu gehen.
»Vivi … könnten wir uns kurz unterhalten? Im Büro?«
Sie nickte nur und stand auf.
Als sie zum zweiten Mal an diesem dramatischen Wochenende in dem kleinen Büro einander gegenüber Platz nahmen, sah er eine andere Frau vor sich als bei der ersten Befragung.
»Ich habe den Eindruck, dass etwas geschehen ist, von dem ich nichts erfahren habe.« Er zögerte einen Moment und fuhr dann fort. »Ja, ich kann nicht konkret sagen, was es ist, doch es scheint …« Martin suchte nach dem richtigen Begriff, wurde aber von Vivi unterbrochen.
»Ihr Blick ist
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