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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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schützen
sollten. Sie musste an den Mann denken, den sie in der vergangenen Nacht
gesehen hatte. Er hatte an derselben Stelle gestanden, an der sie nun stand.
Immer noch sagte ihr ein schwer zu erklärendes Gefühl, dass er ihretwegen dort
gewesen war. Aber natürlich war das Unsinn.
    Der Schnellbus tauchte auf und riss sie aus ihren Gedanken. Er bog
in die Bucht und kam direkt vor ihren Füßen zum Stehen. Klara hielt dem Fahrer
ihre Monatskarte entgegen, setzte sich ganz hinten ans Fenster und blickte
hinaus.
    Das Wasser lief an der Scheibe hinunter und ließ die Landschaft
dahinter verschwimmen. Ihr Blick wanderte zum Straßengraben hinter dem Bushäuschen.
Ein dunkler Gegenstand trieb darin. Zunächst hielt sie ihn für einen alten
Autoreifen oder einen Müllsack, den irgendein Idiot dort abgeladen hatte. Aber
es war kein Müllsack, es war etwas anderes.
    Der Bus bog auf die Straße und gewann an Tempo. Sie sah genauer hin,
doch der Gegenstand rückte immer weiter fort. Zudem zerrte die Fliehkraft an
den Rinnsalen auf der Scheibe, und ihr Blickfeld zerfiel in ein Prisma
gebrochener Spiegelungen. Dann war nichts mehr zu erkennen.
    Margit Burtrup spülte Klaras Kaffeetasse aus und stellte
sie in die Spülmaschine. Ihr Blick schweifte durch das Küchenfenster hinaus auf
die Straße. An der Bushaltestelle entdeckte sie Klara. Der kirschrote Schirm,
unter den sie sich gekauert hatte, war der einzige leuchtende Fleck in der
grauen Landschaft.
    Margit Burtrup lehnte sich gegen die Anrichte und stieß einen
schweren Seufzer aus. Man musste Mitleid mit dem Mädchen haben, nach all dem,
was es durchgemacht hatte. Es war wirklich schrecklich gewesen.
    Insgeheim wünschte sie sich trotzdem eine andere Freundin für ihren
Jungen. Irgendein fröhliches und unkompliziertes Mädchen. Sie glaubte nicht,
dass Jens genügend Kraft hatte, Klara aufzufangen. Er war sensibler als die
anderen Jungen, das war er schon als Kind gewesen. Was wäre, wenn er sich zu
sehr auf diese Sache einließ? Was würde dann mit ihm passieren?
    Es war nicht schön, so zu denken, doch natürlich war ihr der eigene
Sohn näher als das Kind anderer Leute. Bei allem Mitgefühl, das sie für Klara
empfand.
    Aus der Tenne drang schon wieder das Bellen des Hundes. Langsam
nervte es sie. Entschlossen ging sie hinüber. Als Rolf sie bemerkte, sprang er
aufgeregt im Kreis, wedelte mit dem Schwanz und lief bellend zum Tor, das mit
einem Riegel verschlossen war.
    »Was kann denn da draußen so Wichtiges sein? Willst du bei diesem
Wetter wirklich vor die Tür?«
    Mit einem Kopfschütteln nahm sie ihre Regenjacke und zog sie über.
Dann legte sie Rolf die Leine an, damit er nicht geradewegs auf die Straße
stürmte, und öffnete das Tor.
    Sofort zerrte er sie hinaus. Sie glaubte erst, dass er zu Klara
wollte, aber dann sah sie, dass der Bus schon da gewesen war. Trotzdem hielt
der Hund auf die Haltestelle zu.
    Dort angelangt, bellte er den Straßengraben an, und Margit Burtrup
trat neugierig näher. Ein dunkler Gegenstand trieb im Wasser. Ein Stück Plane,
dachte sie zuerst, das der Wind von einem Maissilo gerissen hatte.
    Doch dann begriff sie. Es war keine Plane. Was sie dort sah, war ein
durchweichter Mantel. Ein Haarschopf, der im Wasser schwebte, und eine
kalkweiße leblose Hand.
    Im Graben lag eine Tote.

3
    Endlich hatte es aufgehört zu regnen. Vorerst würde es
auch dabei bleiben, wollte man dem Wetterbericht glauben. Am Nachmittag sollte
sogar die Sonne herauskommen, doch im Moment war davon noch nichts zu sehen.
    Bernhard Hambrock stieg aus seinem Dienstwagen. Auf der
ungeschützten Landstraße erfasste ihn eine kalte Windböe. Er wandte sich ab,
zog den Reißverschluss seiner Daunenjacke hoch und trat fröstelnd an den
Fundort. Es war ein ganz gewöhnlicher Straßenabschnitt, wären da nicht das
grellrotweiße Absperrband, das ihn als polizeilichen Ereignisort kennzeichnete,
und die zahlreichen Ermittlungsbeamten gewesen, die ihn bevölkerten.
Streifenpolizisten, Beamte in Zivil und die Leute von der Spurensicherung, die
in weißen Schutzanzügen den aufgeweichten Boden rund um das Bushäuschen in
Augenschein nahmen.
    Ein Beamter löste sich aus der Gruppe und ging Hambrock entgegen. Es
war Guido Gratczek, Mitglied der Gruppe elf, deren Leiter Hambrock war. Mit
seinem teuren Anzug von Armani und dem edlen Trenchcoat wirkte Gratczek völlig
deplatziert, und sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass er sich wohl
auch so fühlte. Mit

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