Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
Vom Netzwerk:
nichts.
    Hambrock wandte sich zur Haltestelle. Er fragte sich, ob der Täter
womöglich gewusst hatte, dass Sandra Hahnenkamp den letzten Bus nach
Birkenkotten nehmen wollte.
    »Du denkst an Martin Probst, nicht wahr?« Gratczek war neben ihm
aufgetaucht.
    »Natürlich denke ich an Probst.«
    »Es ist wohl kaum ein Zufall, dass wir einen Tag nach seiner Flucht
eine Frauenleiche finden, und das keine zweihundert Meter vom Haus seiner
Adoptivmutter entfernt.«
    »Hm. Vielleicht hast du recht.«
    Hambrock ließ seinen Blick am Horizont entlangwandern. Der Dunst der
vergangenen Regenfälle hing über den Feldern und Wiesen. Alles wirkte farblos
und grau, nur hie und da stach das flammende Rot einer Hainbuche hervor. Bald
werden auch sie ihr Laub verloren haben, dachte er, und dann wird der Winter
Einzug halten.
    Ein paar hundert Meter entfernt stand ein Traktor am Rand einer
Wiese. Die Kühe waren bereits aufgestallt, und ein Bauer beschnitt mit seiner
Motorsäge die Wallhecke. Das Dröhnen der Säge wehte mit dem Wind zu ihnen
herüber.
    Der Boden ist viel zu nass dafür, dachte Hambrock. Kein normaler
Mensch würde an einem Tag wie diesem die Hecken zurückschneiden. Man wartete
den ersten Frost ab, um nicht im Schlamm zu versinken. Schließlich konnte diese
Arbeit den ganzen Winter über verrichtet werden.
    Die Motorsäge begann zu stottern und verstummte. Der Bauer blickte
zu ihnen herüber, als hätte er Hambrocks Gedanken gelesen. Doch dann legte er
die Säge auf seinen Anhänger, zog Zweige aus den Haselsträuchern und ließ sie
kurz darauf wieder anspringen.
    Einige hundert Meter weit weg tauchte ein Auto auf. Es fuhr über
einen schmalen Weg, der einen entlegenen Hof mit der Straße verband. Hambrock
beobachtete, wie sich der Wagen dem Fundort näherte und auf diese Weise die
Straßenabsperrung umging, die einige Kilometer entfernt von der Polizei
errichtet worden war.
    Ein Streifenpolizist trat auf die Fahrbahn und stellte sich dem
Wagen in den Weg. Eine ältere Bauersfrau saß am Steuer, sie stellte den Motor
ab und kurbelte das Fenster herunter.
    »Bitte drehen Sie um«, sagte der Polizist. »Die Straße ist gesperrt,
Sie können hier nicht durchfahren.«
    »Aber ich muss nach Stadtlohn zu Aldi. Wenn ich außen rumfahren
soll, ist das ein Umweg von mehr als fünf Kilometern. Können Sie mich nicht
rasch durchfahren lassen? Ich beeil mich auch.«
    Sie reckte den Kopf aus dem Wagen und blickte zu den versammelten
Ermittlern. »Was ist hier überhaupt los?«, fragte sie den Polizisten. »Ist was
passiert?«
    »Dies ist ein polizeilicher Ereignisort. Sie kommen hier nicht
durch. Ich muss Sie nochmals bitten umzudrehen.«
    Sie machte jedoch keine Anstalten dazu. Stattdessen ließ sie den
Sicherheitsgurt aufspringen, um ihren Kopf weiter vorstrecken zu können.
    »Haben Sie eine Fliegerbombe gefunden?«
    »Ich darf Ihnen keine Informationen geben. Bitte, drehen Sie …«
    »Ich sage doch immer, die liegen hier noch überall, ich war ja als
Kind dabei. Ich hab gesehen, wie viele da runtergekommen sind. Das waren die
Tommies, die haben ihre Bomben einfach aufs Land geworfen. Sagen Sie, sollte
unser Hof nicht evakuiert werden?«
    Plötzlich tauchte ein Fahrrad neben dem Wagen auf. Ein alter Mann
mit Schirmmütze stieg ab, grüßte die Bäuerin mit einem Nicken, blickte zum
Bushäuschen hinüber und wandte sich an den Polizisten.
    »Was ist hier passiert?«
    »Die Straße ist abgesperrt«, sagte die Frau im Wagen. »Die wollen,
dass ich über Krächtings Mühle fahre, weil hier keiner durch darf.«
    Hambrock wandte sich an Gratczek. »Wir müssen die Leute fernhalten.
Ich möchte nicht, dass jemand die Gelegenheit bekommt, sich hier umzusehen.
Außerdem müssen wir die Mutter des Opfers informieren. Sie soll nicht von
jemand anderem erfahren, was geschehen ist.« Er deutete zum Traktor auf der
Kuhwiese. »Und dann möchte ich noch wissen, wer dieser Bauer dort drüben mit
der Motorsäge ist. Jemand soll das herausfinden.«
    Guido Gratczek wollte etwas erwidern, doch dann wanderte sein Blick
zur Straße, und er zog die Stirn kraus. »Was ist denn das?«
    Hambrock drehte sich um. Am Straßenrand näherte sich eine kleine
Gestalt. Mit winzigen Trippelschritten lief sie ihnen entgegen. Es war eine
ältere Frau, die eine Kochschürze über ihrem Wollpullover trug. Sie hatte nicht
die Konstitution für einen solchen Lauf, jeder einzelne Schritt verlangte ihr
viel Kraft ab. Dennoch rannte sie unbeirrt weiter. Brust und

Weitere Kostenlose Bücher