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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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fürchtete unterzugehen, so taub und kraftlos fühlten sich ihre Beine an. Dort schwamm kein menschlicher Körper. Es war nur ein luftleerer und vom Salz und der Sonne ausgeblichener Wasserball, der über die sanften Wellen schaukelte. Carolin schluchzte vor Erleichterung auf, und es dauerte einen Moment, bevor sie sich imstande fühlte, sich von der Boje zu lösen und zurückzuschwimmen. Wie benommen und mit wackligen Beinen gewann sie endlich wieder Boden unter ihren Füßen.
    Als sie ihre Zwillinge entdeckte, musste sie vor Glück fast weinen. Sie hockten mit einem prall gefüllten Muscheleimer am Wasser und malten Bilder in den feuchten Sand. Carolin ließ sich bibbernd neben Carla auf die Knie fallen. Ein einziger Blick in die grünen Augen ihrer Tochter genügte ihr, um sich zu vergewissern, dass das Mädchen sich keinerlei Schuld bewusst war. Offenbar hatte sie beim Muschelsuchen die Zeit vergessen. Carolin wollte sich zwar ihre Panik nicht anmerken lassen, konnte aber nicht umhin, ihre Tochter einmal fest an sich zu ziehen und im Arm zu halten. Wie furchtbar der Gedanke war, eines der Kinder zu verlieren.
    »Du bist aber kalt!«, sagte Carla und schob ihre Mutter, deren Gefühlsausbruch sie offenbar ein wenig irritierte, von sich weg. »Wieso warst du denn ohne uns schwimmen?«,
    »Ich dachte … ich habe nach dir gesucht und … ich musste mich kurz abkühlen«, brachte Carolin stockend hervor und blickte von einer ihrer Zwillingstöchter zur anderen. Sie glichen einander tatsächlich wie ein Ei dem anderen und waren charakterlich doch so verschieden, dass es Carolin immer wieder faszinierte.
    »Was ist denn jetzt mit dem Eis?«, fragte Hanna gedehnt, und Carolin willigte lachend ein.
    Mit noch immer etwas weichen Knien lief sie mit den Kindern zu ihrem Strandkorb hinauf, griff nach ihrer Tasche und streifte sich ihre Flip-Flops und ein T-Shirt über. Carla entschied sich, unter dem Schirm zu bleiben und ihre Muscheln zu bewachen, und so lief sie mit Hanna allein über den schmalen Holzsteg bei den Dünen zur Straße hinauf, wo sich der Kiosk befand, um für alle drei Eis und kalte Getränke zu kaufen. Hanna ließ ihre Hand erst los, als sie sich in die lange Schlange der Wartenden vor dem Verkaufsfenster eingereihthatten und sie sicher zu sein meinte, dass ihrem Eis nun nichts mehr im Wege stehen konnte. Carolin wollte gerade ihr Portemonnaie aus der Tasche kramen, als ihr die Ansichtskarten in die Hände fielen, die in einem Fach der Tasche steckten.
    »Ich lauf schnell zum Briefkasten rüber. Stell du dich solange allein an«, sagte sie und winkte ihrer Tochter noch einmal zu, bevor sie auf die gegenüberliegende Straßenseite eilte, wo nur ein paar Schritte weiter der gelbe Postbriefkasten stand. Ihre Anspannung war gänzlich einem Gefühl der Dankbarkeit und Beschwingtheit gewichen, als sie nach dem glühend heißen Einwurfschlitz des Briefkastens griff. Das Quietschen bremsender Reifen direkt hinter ihr ließ sie herumfahren. Die Front eines roten Sportwagens tauchte vor ihr auf, und als sie realisierte, dass sie jede Sekunde zwischen dem Wagen und dem Briefkasten zerquetscht zu werden drohte, wich sie reflexartig mit einem Schritt nach links aus. Der Fahrer des Kleinlasters, der im Ausweichmanöver am Sportwagen verbeischnellte, sah Carolin offenbar viel zu spät. Sie spürte nur, dass sie durch die Luft geschleudert wurde. Ihr Kopf schlug hart auf dem Asphalt auf, und sie vernahm gleichzeitig ein Knacken in der Wirbelsäule. Für einen Moment schwanden ihr die Sinne, und sie wurde ohnmächtig.
    Der Geruch nach verbranntem Gummi lag in der Luft, als sie  wieder zu sich kam und bemerkte, dass eine Traube von Menschen mit angsterfüllten Gesichtern auf sie herabblickte und sie anstarrte. Sie versuchte, sich zu orientieren und ihren Blick dorthin zu richten, wo sie Hanna und den Kiosk vermutete. Dort befand sich aber kein Kiosk, sondern zu ihrer Verwirrung ein Parkplatz. Sie meinte zu phantasieren, war gar nicht in der Lage, darüber nachzudenken, dass sie tatsächlich einige Meter weit geflogen war. Ihre Ohren rauschten, unddann meinte sie, die flirrende Hitze des Pflasters würde sie verbrennen, bevor sie plötzlich keinen Schmerz mehr im Körper spürte, sondern nichts als Taubheit. Allgegenwärtig war dagegen die Angst darüber, wie man sie anblickte. Sie wollte diese Menschen nicht sehen, die ihre Hände auf die Münder pressten und plötzlich über ihr zu kreisen begannen. Carolin hätte sie so

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