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Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
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gerne gebeten wegzugehen, ihnen gesagt, dass sie ihr die Luft zum Atmen nahmen, aber aus ihrer trockenen Kehle drang nicht ein einziger Laut.
    »Mama!«, vernahm sie dumpf und wie aus weiter Ferne Hannas Stimme, und dann tauchte ihre Tochter für den Bruchteil einer Sekunde in ihrem Sichtfeld auf und streckte schluchzend und mit einem Gesichtsausdruck, in dem blanke Angst zu lesen war, die Hand nach ihr aus.
    »Lasst das Kind das um Gottes willen nicht sehen!«, schrie jemand laut und riss Hanna gleichzeitig mit sich fort! Wieder pochte die Angst in Carolins Schläfen.
    »Bitte nicht, wer sind Sie?«, wollte sie schreien. Wie aus weiter Ferne drang Hannas Schluchzen zu ihr vor, und es zerriss Carolin das Herz, sie so voller Angst »Mama« rufen zu hören. Sie wollte Hanna trösten, ihre warme zarte Kinderhand halten und ihr sagen, dass alles gut werden würde.
    Aber die vielen verzerrten Fratzen, die sich zu ihr hinunterbeugten, ließen das Kind nicht zu ihr durch.
    »Geht weg!«, wollte sie rufen: »Ich muss aufstehen. Wir essen jetzt Eis und müssen nach Hause. Hanna, Carla, geht nicht allein ins Wasser. Bleibt zusammen. Passt auf euch auf!« Endlich verschwanden die Gesichter aus ihrem Blickfeld, und Carolin war umgeben von einem hellen Licht. Gut, dass die Mädchen einander haben, dachte sie. Gut, dass die Mädchen einander haben.

5
    »Geld scheint hier wirklich keine Rolle zu spielen«, raunte Braun Bendt zu. Dr. Teubert hatte Braun und Bendt in den Wintergarten gebeten und war dann wieder hinaus in die Küche gegangen, um Kaffee und Tee aufzubrühen. Braun stand an der breiten Glasfront und beobachtete die Pferde auf der weiß eingezäunten Koppel. Das Gatter zur Weide stand offen, und ein Mann und ein junges Mädchen waren gerade dabei, die Tiere vom Halfter zu lassen. Zwei Jungpferde stoben sogleich übermütig davon, galoppierten bockend nebeneinanderher und bissen sich spielerisch in den Mähnenkamm. Zwei andere Pferde wischten, von dieser Szene offenbar unbeeindruckt, mit ihren Mäulern über den frostigen Boden und zupften hier und dort ein paar spärliche Grashalme unter der dünnen Schneedecke heraus. Der Ausblick aus dem hellen Wintergarten hatte etwas Beruhigendes, wie Braun fand. Er konnte nur gutheißen, dass Dr. Teubert sie anders als am Vortag nicht in das Kaminzimmer gebeten hatte, wo sie Carla Frombach die Mitteilung über den Tod ihrer Schwester überbracht hatten und diese sofort zusammengebrochen war.
    Angehörigen die Hiobsbotschaft über den Tod eines nahen Verwandten zu überbringen war für Braun mit Abstand der verhassteste Teil seines Berufes. Sich tagtäglich mit Leichen und Verbrechen beschäftigen zu müssen war eine Sache, an die er sich gewöhnt hatte und die ihn angesichts seiner langjährigen Berufsroutine nach Feierabend inaller Regel auch nicht mehr umtrieb. Eine ganz andere Sache war es, einem Menschen sagen zu müssen, dass die Mutter, der Vater, ein Geschwisterteil oder das eigene Kind zu Tode gekommen war. Daran konnte er sich nicht gewöhnen, das ging ihm unter die Haut, so dickfellig er sonst auch sein mochte.
    »Schon irre, wie manche Leute so leben«, stellte Bendt fest, während er erneut neugierig durch den breiten Durchgang in das Esszimmer spähte, das Braun nach ihrem gestrigen Besuch in diesem Haus so treffend als Rittersaal bezeichnet hatte. Auch er war dem Angebot Dr. Teuberts, in einem der übergroßen Korbsessel Platz zu nehmen, nicht gefolgt, sondern schlenderte durch den Raum und studierte die zahlreichen Fotos und gerahmten Reiturkunden, die links an der Wand gegenüber der Glasfront aufgehängt worden waren und genauso wie die in den Glasvitrinen darunter aufgereihten Pokale die Reitleidenschaft der Schwestern dokumentierten.
    Braun trat neben seinen Kollegen, und sein Blick fiel sogleich auf ein Foto, auf dem der zirka ein Meter neunzig große Hausherr von den beiden zierlichen Schwestern eingerahmt wurde. Braun vermutete, dass das Bild anlässlich eines Turniers aufgenommen worden war, denn die Schwestern lächelten, mit schicken weißen Reithosen, glänzenden Stiefeln und Reitsakkos bekleidet in die Kamera. Dr. Teubert trug Cordhosen und ein kariertes Sakko und entsprach mit seinem grau melierten Haar in jeder Hinsicht dem Klischee eines englischen Gentlemans.
    »Fragst du dich auch gerade, was für eine Art ménage à trois das mit den dreien wohl war?«, meinte Bendt und vergewisserte sich mit einem Blick in Richtung Esszimmer,dass man ihn nicht

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