Schneetreiben
Hände krampften. Er wandte sich ihr zu, und in seinen Augen flammten Wut und Verzweiflung auf. Er schien etwas sagen zu wollen, schüttelte dann aber nur den Kopf und fuhr sich mit einer Hand nervös über das Kinn.
»Es tut mir leid, dir das heute an Weihnachten zu sagen«, flüsterte Carla. »Ich weiß, dass das hier auch dein Zuhause ist, aber …«
»Du wirst andernorts nicht glücklicher werden«, fiel er ihr mit bebender Stimme ins Wort. »Du kannst nicht davonlaufen, du …« Er verstummte.
Carla strich ihm über den Arm. »Was wolltest du sagen?«
Hansen wandte sich ihr zu, ihm standen Tränen in den Augen, aber er erwiderte nichts.
»Wenn ich hierbleibe, werde ich vielleicht auch verrückt«, sagte Carla. »Ich spüre, dass Konrad denkt, dass ich Hanna immer ähnlicher werde. Ihr alle hier denkt das.«
»Ich werde nicht zulassen, dass dir das passiert, was ihr passiert ist«, sagte er. Sein Gesicht wirkte in dem schwach beleuchteten Stall plötzlich grau und aschfahl. Dann begann er Schlaufe für Schlaufe die Longierleine um seine rechte Hand zu wickeln. »Mein Gott«, flüsterte sie tonlos, »was ist mit dir?«
33
Als Susan den Summer betätigte und gleichzeitig die Wohnungstür öffnete, hatte sie nicht erwartet, dass Konrad vor ihr stehen würde. Ihr Geliebter sah sie so giftig an, dass sie zusammenzuckte. Ohne ein Grußwort schob er sie zurück in den Wohnungsflur und ließ die Tür geräuschvoll hinter sich ins Schloss fallen.
»Bist du eigentlich von allen guten Geistern verlassen?«, fuhr er sie an und öffnete seine Winterjacke, ohne sie dann jedoch auszuziehen. »Musstest du alles kaputt machen?« Er bebte vor Wut.
Susan wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
»Es tut mir leid«, stammelte sie. »Deine Frau ist mir in der Praxis direkt in die Arme gelaufen. Ich war nicht vorbereitet.«
»Nicht vorbereitet?« Teubert maß ihren ganzen Körper mit einem abschätzigen Blick. »Du hattest nichts Besseres zu tun, als ihr deine Schwangerschaft auf die Nase zu binden. Du ahnst nicht, wie wütend ich auf dich bin.«
Er hatte sich an den Feiertagen nicht ein einziges Mal bei ihr gemeldet. Es war das schrecklichste Weihnachtsfest gewesen, das sie je erlebt hatte. Anders als geplant, war sie nicht zu ihren Eltern nach Hannover gefahren, sondern hatte sich damit entschuldigt, mit einem fiebrigen Infekt im Bett zu liegen. Der Gedanke, die Feiertage mit ihren Eltern und ihrer glücklichen Schwester zu verbringen, die obendrein einen Mann und zwei Kinder hatte, war für sie nichtzu ertragen gewesen. Sie hatte die meiste Zeit weinend im Bett gelegen und in der Hoffnung, Teubert würde sich wenigstens bei ihr melden und ihr frohe Weihnachten wünschen, ihr Handy angestarrt.
»Ich habe dich Weihnachten so sehr vermisst«, gestand sie und streckte vorsichtig ihre Hand nach seinem Arm aus, aber er entzog sich ihr.
»Du hast Nerven«, gab er bitter zurück. »Da meine Frau nun von uns weiß, kann ich es mir wohl kaum erlauben, mich Weihnachten davonzustehlen.«
»Du hättest wenigstens anrufen und fragen können, wie es mir geht«, sagte Susan leise und sah ihm in die Augen.
»Susan«, schnaubte Teubert, »du weißt, weshalb ich heute hier bin?«
Sie schluckte, ihr Kinn begann zu zittern. Sie wollte weder aussprechen noch denken, was er gleich darauf sagen würde.
»Es ist vorbei«, stellte er kurz und bündig fest.
Ihr Blick wanderte zu dem kleinen Tisch im Flur, auf dem ihr Weihnachtspaket für Teubert lag. Sie hatte einen Babybody und ein leeres Fotoalbum darin verpackt. Außerdem hatte sie ihm einen langen Brief geschrieben.
»Wir bekommen ein Kind«, sagte Susan flehend.
Teubert tat so, als hätte er die Äußerung überhört.
»Ich möchte, dass du dich krankschreiben lässt und vorläufig nicht in der Praxis auftauchst.« Teubert griff in seine Hosentasche und zog seine Geldbörse daraus hervor. Dann klappte er sie auf und zog ein Bündel Geldscheine heraus. »Das ist für die Babyausstattung«, erklärte er nüchtern und warf das Geld achtlos auf den kleinen Tisch. »Du wirst von mir monatlich regelmäßig mehr erhalten, als es gesetzlichvorgeschrieben ist. Das gilt jedenfalls, solange du dich von meiner Frau fernhältst. Außerdem möchte ich, dass in der Praxis niemand erfährt, dass du ein Kind von mir erwartest.«
Susan fühlte sich wie betäubt.
»Es ist, wie es ist«, resümierte er kühl, schlug den Kragen seiner Jacke hoch und ging. Susan blickte ihm im Hausflur nach, aber
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