Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schneetreiben

Schneetreiben

Titel: Schneetreiben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gladow
Vom Netzwerk:
auf den Asphalt aufgeschlagen, so dass die eine Hälfte ihres Gesichtes nahezu intakt aussah. Wenn man von dem blutdurchtränkten, klebrigen Haarschopf und der Tatsache absah, dass das leblose starre Auge, das ihn anblickte, auf sonderbare Weise direkt aus der vom Blut geschwärzten Gehplatte des Bürgersteigs zu ihm emporzustarren schien, sah sie für das, was passiert war, eigentlich noch ganz gut aus. Braun maß den bizarr verdrehten Körper ab, der ihn nach mehr als zwanzig Jahren Polizeidienst und über zehn Jahren Mordkommission ebenfalls nicht mehr zu schockieren vermochte. Die Tote trug einen dunkelblauen langen Daunenmantel, dazu einen Schal im Burberrymuster, braune Wollstrumpfhosen, einen knielangen Rock und Stiefel.
    »Sie war gut situiert«, murmelte er nachdenklich und fragte sich gleichzeitig, in welchem Zustand wohl der Perlenohrring sein mochte, den die Tote an jenem Ohr getragen hatte, das er nicht wohlgeformt und unbeschadet betrachten konnte. Irgendwo in der Blutlache würde sich eine Antwort finden. Braun konzentrierte sich auf das, was er sah, und versuchte, jedes noch so unwichtig wirkende Detail aufzunehmen und abzuspeichern. Er ging davon aus,dass die Frau vor dem Absturz relativ frisch frisiert gewesen  war, denn in ihrem halbaufgelösten Zopf steckte eine Hornspange, und sie war geschminkt. Er nahm außerdem flüchtig den Duft eines Parfüms wahr. Um ihr Gesicht noch besser inspizieren zu können, lehnte er sich vor und registrierte, dass sie tatsächlich Make-up und Rouge aufgetragen hatte. Er kniff die Augen zusammen und kroch fast unter die Plane, denn ihr Mund, aus dem seitlich ein kleines Rinnsal Blut geflossen war, erregte seine Aufmerksamkeit.
    Fischer erriet erneut seinen Gedanken. »Könnte tatsächlich ein bisschen Lippenstift sein, was du da siehst«, bestätigte er und blickte ebenfalls noch einmal in das Gesicht der zarten Person auf dem Gehsteig.
    Braun kniete vor der Leiche und war so bei der Sache, dass er die Kälte vergaß. »Wer schminkt sich denn die Lippen, bevor er freiwillig aus einem Fenster springt?«, fragte er.
    »Hanna Frombach«, antwortete Bendt, der den letzten Gesprächsfetzen aufgeschnappt hatte und nun, drei Kaffeebecher zwischen seinen dicken Handschuhen jonglierend, hinter seine Kollegen trat. Fischer nahm den vordersten Becher.
    »Scheußlicher Anblick«, sagte Bendt und verzog das Gesicht.
    »Nun stell dich mal nicht so an«, gab Braun ungerührt zurück, ohne sich von der Leiche abzuwenden.
    Bendt stellte zunächst die Becher ab und ging dann ebenfalls in die Hocke, um sich die Leiche anzusehen.
    Als die Kommissare genug gesehen hatten, standen sie auf. Sie entfernten sich einige Schritte von der Toten und prosteten einander zu. Braun und Fischer verzogen fast zeitgleich sichtlich angewidert ihre Gesichter.
    »Der ist ja dünn wie Tee«, beschwerte sich Braun und inspizierte den Kaffee in seinem Becher so kritisch, als habe Bendt versucht, ihn zu vergiften.
    »Ich habe nicht gesagt, dass der Kaffee auch gut ist«, verteidigte sich Bendt.
    »Ist wie Medizin und immerhin heiß«, erklärte Fischer, der sich offenbar selbst Mut zusprechen musste.
    »Du musst, glaube ich, wirklich dringend in dein Bett«, meinte Braun, der sich um seinen Freund langsam fast ein bisschen Sorgen machte. Denn der zitterte und schien Fieber zu haben.
    »Du siehst wirklich total beschissen aus«, stellte jetzt auch Bendt fest. »Du solltest dich auskurieren.«
    »Vielen Dank für das nette Kompliment, das ich heute übrigens schon einmal gehört habe. Ich nehme an, dass euer Mitleid mit mir nicht so weit geht, dass ihr ein paar Tage auf die Sektion eurer Leiche warten wollt – stimmt’s?«
    »Morgen bist du doch wieder topfit.« Braun klopfte seinem Freund auf die Schulter. »Ich komme gern gleich morgen früh in der Rechtsmedizin vorbei und hole mir die ersten Ergebnisse von dir, wenn’s geht.«
    »Wenn ich morgen noch lebe!«, stöhnte Fischer und unterstrich sein zur Schau getragenes Leiden mit einem lauten Husten.
    »Ich bin da zuversichtlich, und mit einer schlechteren Ausrede, als dass du tot bist, darfst du mir morgen auch nicht kommen, falls ich dich nicht antreffe«, sagte Braun grinsend und sah dem Freund nach, der mit seinem Sektionskoffer unter dem Arm gebückt von dannen schlurfte.
    »Lass uns drinnen weiterreden«, bat der Hauptkommissar, »das heißt, wenn du keine Neigung verspürst, noch einmalunter die Plane zu schauen, bevor sie abtransportiert

Weitere Kostenlose Bücher