Schneller als der Tod
seine Freunde nannten ihn Rovo, weil sein Nachname Niemerover war.
Wie gesagt, ihn kannte ich schon. Die Eltern noch nicht.
Sie waren blond und groß wie Rovo, aber auch stämmig. Neben den dreien nahm sich Magdalena aus, als wäre sie von Windhunden großgezogen worden.*
(Magdalena sah nach einer Rom aus - einer Zigeunerin oder »Gypsy«, wie es im Englischen früher hieß, weil man annahm, die Roma stammten aus Ägypten. Sie stammen ursprünglich aus Indien. Witzig ist, dass Rumänien, eines der rassistischsten Länder, die es je gab - als es 1910 die erste ausdrücklich auf Judenhass basierende Partei bekam, waren die konservative und die liberale Partei des Landes bereits offiziell »antisemitisch« -, zugleich ein Land ist, in dem sich besonders viele Rassen gemischt haben, weil es an einem Gebirgspass liegt, durch den alle Heere der Weltgeschichte gekommen sind. Witze müssen ja nicht lustig sein.)
Der Vater arbeitete bei der U-Bahn als Schichtleiter für den von der Grand Central ausgehenden IRT-Verkehr, obwohl er in Rumänien Zahnarzt gewesen war. Die Mutter arbeitete in der Bäckerei eines Freundes der Familie.
Statt etwas Rumänischem gab es Spaghetti zum Dinner, aus »Höflichkeit« und um zu unterstreichen, wie viel Magdalena und mich trennte. Wir aßen im Esszimmer der dreistöckigen, unglaublich schmalen Reihenhaushälfte der Familie. Alles in dem Zimmer - die Teppiche, die dunklen Holzuhren, die Möbel, die vergilbten Fotos in ihren Rahmen - schluckte Licht. Magdalena und ich saßen Rovo gegenüber an einer Längsseite des Tisches, Magdalenas Eltern am Kopf- und Fußende.
»Seit wann interessieren Sie sich für Rumänen?«, sagte Magdalenas Vater, kurz nachdem wir mit dem Essen angefangen hatten. Er hatte einen Schnurrbart und trug, wie es aussah, den Schlips unter einem abnehmbaren Kragen, aber das konnte wohl nicht sein.
»Seit ich Magdalena kenne«, sagte ich.
Ich versuchte es unverfänglich und mit Respekt anzugehen, hatte aber zu wenig Erfahrung damit und bekam es nicht gut hin. Außerdem rutschte Magdalena mir praktisch dauernd auf den Schoß, um ihren Eltern zu zeigen, wie ernst es mit uns war.
»Wie haben Sie sie eigentlich kennengelernt?«, sagte ihr Vater.
»Auf einer Hochzeit«, sagte ich.
»Ich wusste gar nicht, dass das Quartett bei solchen Anlässen spielt.«
Ich sagte ihm nicht, dass es an dem Abend ein Sextett gewesen war. Weder wollte ich ihn verbessern, noch wollte ich das Wort »Sextett« vor ihm aussprechen.
»Es war ein Sextett«, sagte Magdalena.
»Ach so.«
Magdalenas Mutter lächelte gequält. Rovo verdrehte die Augen. Er hing so tief in seinem Lehnstuhl, dass es aussah, als könnte er jeden Moment rausrutschen.
»Können Sie Rumänisch?«, sagte Magdalenas Vater.
»Nein«, sagte ich.
»Wissen Sie denn wenigstens, wer der Präsident von Rumänien ist?«
»Ceaucescu?« Da war ich mir ziemlich sicher.
»Ich hoffe mal schwer, dass das ein Witz sein soll«, sagte er.
Ich konnte nicht anders. Ich sagte: »Soll es. Scherze über Rumänien sind ein Steckenpferd von mir.«
»Sarkasmus offenbar auch«, sagte Magdalenas Vater. »Unsere Magda ist nicht irgendein amerikanisches Mädel, das es mit Ihnen im Auto treibt, müssen Sie wissen.«
Rovo sagte: »Herrgott nochmal, Dad. Würg!«
»Das weiß ich«, sagte ich.
»Sie scheinen nicht das Geringste mit meiner Tochter gemein zu haben.«
»Niemand hat etwas mit ihr gemein«, sagte ich. »Leider.«
»Genau«, sagte ihre Mutter beifällig. Magdalenas Vater starrte sie böse an.
Magdalena selbst stand einfach auf, ging zu ihrem Vater und küsste ihn auf die Stirn. »Papa, du machst dich lächerlich«, sagte sie zu ihm. »Ich fahre jetzt mit Pietro zu ihm nach Hause. Morgen oder übermorgen bin ich wieder hier.«
Sie waren alle drei perplex.
Ich auch, aber ich brauchte schließlich nur mitzulaufen, als sie mich packte und wie der Blitz da rausschaffte.
Etwa um diese Zeit verabredete sich Locano wieder mit mir in dem russischen Bad. Ich hatte zwar noch Fußpilz vom letzten Mal, ging aber hin.
»Danke, dass du Skinflick erzählt hast, ich hätte Kurt Limme umgebracht«, sagte ich, als ich mich neben ihn setzte.
»Hab ich nicht. Ich habe nur gesagt, dass ich es nicht war.«
»Und warst du's?«
»Nein. Angeblich war es irgendein Blödmann, dem er bei einem Funkturm-Deal in die Quere kam.«
Warum hatte ich überhaupt gefragt? Wenn es Locano war oder der Mordauftrag von ihm kam, warum hätte er es mir sagen sollen?
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