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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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übertragen wurde, sollten Sie sich daran erinnern, dass der Staat Israel selbst damals erst sieben Jahre alt war; all seine Institutionen befanden sich im Aufbau, und jemand musste sie aufbauen. So seltsam es sich heute anhören mag, hat mich mein Bachelorabschluss in Psychologie vermutlich zum am besten ausgebildeten Psychologen in der Armee gemacht. Mein direkter Vorgesetzter, ein brillanter Forscher, war Chemiker.
    Als man mir diese Aufgabe übertrug, gab es bereits ein bestimmtes Befragungsprozedere. Jeder Soldat wurde bei seiner Einberufung einer Reihe psychometrischer Tests unterzogen, und jeder Rekrut, der für Kampfeinsätze in Betracht gezogen wurde, wurde interviewt, um ein Persönlichkeitsprofil zu erstellen. Ziel war es, dem Rekruten einen Punktwert für seine allgemeine Kampftauglichkeit zuzuschreiben und die optimal zu seiner Persönlichkeit passende Verwendung zu finden: Infanterie, Artillerie, Panzertruppen und so weiter. Die Interviewer waren ihrerseits junge Wehrpflichtige, die wegen ihrer hohen Intelligenz und ihres Interesses am Umgang mit Menschen für diese Aufgabe ausgewählt worden waren. Die meisten waren Frauen, die damals noch vom Dienst an der Waffe ausgenommen waren. Sie wurden ein paar Wochen lang darin geschult, wie man ein 15- bis 20-minütiges Interview führt; sie sollten dabei eine breite Palette von Themen ansprechen und sich einen allgemeinen Eindruck darüber verschaffen, wie gut der Rekrut in der Armee zurechtkommen würde.
    Leider hatten anschließende Evaluierungen bereits darauf hingedeutet, dass diese Befragungsmethode für die Vorhersage des zukünftigen Erfolgs der Rekruten fast nutzlos war. Ich sollte einen Interviewfragebogen erstellen, der nützlicher war, aber nicht mehr Zeit beanspruchte. Ich sollte den neuen Fragebogen auch erproben und seine Vorhersagegenauigkeit beurteilen. Aus der Sicht eines Fachmanns war ich für diese Aufgabe nicht besser qualifiziert, als ich es gewesen wäre, um eine Brücke über den Amazonas zu bauen.
    Zum Glück hatte ich Paul Meehls »kleines Buch« gelesen, das ein Jahr zuvor veröffentlicht worden war. Seine Behauptung, einfache statistische Regeln seien intuitiven »klinischen« Urteilen überlegen, hatte mich überzeugt. Ich gelangte zu dem Schluss, dass der damals gebräuchliche Fragebogen zumindest zum Teil deshalb ein Fehlschlag war, weil er den Interviewern erlaubte, das zu tun, was sie am interessantesten fanden, nämlich etwas über das innere Seelenleben des Befragten zu erfahren. Vielmehr sollten wir die begrenzte Zeit, die uns zur Verfügung stand, dazu benutzen, möglichst viele spezifische Informationen über das Leben des Befragten in seinem normalen Umfeld in Erfahrung zu bringen. Darüber hinaus lernte ich von Meehl, dass die endgültige Entscheidung nicht länger von den allgemeinen Beurteilungen des Rekruten durch den Interviewer bestimmt werden sollte. Meehls Buch suggerierte, dass man solchen Beurteilungen nicht vertrauen konnte und dass statistische Zusammenfassungen von getrennt bewerteten Attributen eine höhere prognostische Gültigkeit besitzen.
    Ich entschied mich für ein Verfahren, bei dem die Interviewer mehrere relevante Persönlichkeitszüge beurteilen und jedem für sich einen Punktwert zuschreiben sollten. Die Gesamtpunktzahl für die Kampfeinsatztauglichkeit sollte nach einer Standardformel berechnet werden, ohne dass die Interviewer weiter Einfluss darauf nehmen sollten. Ich erstellte eine Liste von sechs Merkmalen, die für die Leistung in einer Kampfeinheit relevant zu sein schienen, darunter »Verantwortungsbewusstsein«, »Umgänglichkeit« und »männlicher Stolz«. Anschließend entwarf ich für jeden Persönlichkeitszug eine Reihe von Sachfragen, die sich auf das Leben des Rekruten vor seiner Einberufung bezogen, wie etwa die Zahl der bisherigen Anstellungen, wie regelmäßig und pünktlich er seiner Arbeit oder seinem Studium nachgegangen ist, die Häufigkeit seiner Kontakte mit Freunden, sein Interesse für und seine Teilnahme an sportlichen Aktivitäten und so weiter. Es ging darum, so objektiv wie möglich zu beurteilen, wie gut der jeweilige Rekrut in jeder Dimension abgeschnitten hatte.
    Durch die Konzentration auf standardisierte, sachbezogene Fragen wollte ich den Halo-Effekt reduzieren, bei dem günstige erste Eindrücke spätere Urteile beeinflussen. Als weitere Schutzvorkehrung gegen Halo-Effekte wies ich die Interviewer an, die sechs Persönlichkeitsmerkmale in einer festen

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