Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Wahlhandlungen auf der Basis elementarer Rationalitätsregeln (Axiome) beschreiben. Betrachten Sie dieses Beispiel:
Wenn Sie einen Apfel einer Banane vorziehen,
dann
ziehen Sie auch eine 10-prozentige Chance, einen Apfel zu gewinnen,
einer 10-prozentigen Chance vor, eine Banane zu gewinnen.
Apfel und Banane stehen für beliebige Wahlobjekte (einschließlich Lotterien), und die 10-prozentige Chance steht für jede beliebige Wahrscheinlichkeit. Der Mathematiker John von Neumann, eine der Geistesgrößen des 20. Jahrhunderts, und der Ökonom Oskar Morgenstern haben ihre Theorie der rationalen Wahl zwischen Lotterien aus einigen wenigen Axiomen abgeleitet. Die Ökonomen haben die Theorie des erwarteten Nutzens in einer doppelten Funktion übernommen: als eine Logik, die vorschreibt, wie Entscheidungen getroffen werden sollten, und als Beschreibung des Entscheidungsverhaltens der Econs . Doch Amos und ich waren Psychologen, und wir wollten verstehen, wie Humans riskante Entscheidungen treffen, ohne irgendwelche Annahmen über ihre Rationalität zu machen.
Wir behielten unsere Routine bei, tagtäglich viele Stunden mit Gesprächen zu verbringen, manchmal in unseren Büros, manchmal in Restaurants, oftmals auf langen Spaziergängen durch ruhige Straßen des schönen Jerusalems. Wie schon bei der Erforschung des Urteilsverhaltens haben wir auch hier unsere eigenen intuitiven Präferenzen gründlich analysiert. Wir verbrachten unsere Zeit damit, einfache Entscheidungsprobleme zu erfinden und uns selbst zu fragen, wie wir uns entscheiden würden. Zum Beispiel:
Was würden Sie vorziehen?
Werfen Sie eine Münze. Bei Kopf gewinnen Sie 100 Dollar, bei Zahl gewinnen Sie nichts.
Sie bekommen sicher 46 Dollar.
Wir versuchten nicht, die rationalste oder vorteilhafteste Wahl herauszufinden; wir wollten die intuitive Entscheidung ermitteln, jene, die unmittelbar verlockend ist. Wir wählten fast immer die gleiche Option aus. In diesem Beispiel hätten wir uns beide für die sichere Alternative entschieden, und Sie würden vermutlich das Gleiche tun. Wenn wir uns mit großer innerer Überzeugung auf eine Option verständigten, glaubten wir – fast immer zutreffend, wie sich herausstellte –, dass die meisten Menschen unsere Präferenz teilen würden, und wir machten weiter, als hätten wir stichhaltige Beweise dafür. Natürlich wussten wir, dass wir unser Bauchgefühl später überprüfen müssten, aber dadurch, dass wir sowohl Experimentatoren als auch Probanden waren, kamen wir zügig voran.
Fünf Jahre nachdem wir mit der Erforschung von Lotterien begonnen hatten, beendeten wir schließlich einen Aufsatz mit dem Titel »Prospect Theory: An Analysis of Decision under Risk« (»Neue Erwartungstheorie: Eine Analyse
risikoträchtiger Entscheidungen«). Unsere Theorie orientierte sich am Vorbild der Nutzentheorie, von der sie jedoch in grundlegender Weise abwich. Am wichtigsten aber ist, dass unser Modell rein deskriptiv war und dass es systematische Verstöße gegen die Axiome rationalen Handelns bei Wahlen zwischen Lotterien dokumentieren und erklären sollte. Wir reichten unseren Aufsatz bei Econometrica ein, einem Wissenschaftsjournal, das bedeutende theoretische Beiträge zur Ökonomie und Entscheidungstheorie veröffentlicht. Die Wahl des Publikationsorgans erwies sich als wichtig; hätten wir den Aufsatz in einer psychologischen Fachzeitschrift veröffentlicht, hätte er vermutlich keinen großen Einfluss auf die Wirtschaftswissenschaften gehabt. Doch unsere Entscheidung war nicht von dem Wunsch geleitet, Einfluss auf die Wirtschaftswissenschaften zu nehmen; Econometrica war einfach die Zeitschrift, in der die besten Aufsätze zur Entscheidungsforschung veröffentlicht worden waren, und wir wollten in dieser Gesellschaft sein. Bei dieser Wahl wie bei vielen anderen hatten wir Glück. Die Neue Erwartungstheorie (Prospect Theory) erwies sich als unsere bedeutendste wissenschaftliche Arbeit überhaupt, und unser Artikel gehört zu den meistzitierten Aufsätzen in den Sozialwissenschaften. Zwei Jahre später veröffentlichten wir in Science einen Aufsatz über Framing-Effekte: die weitreichenden Präferenzänderungen, die manchmal durch geringfügige Abwandlungen der Formulierung eines Entscheidungsproblems verursacht werden.
In den ersten fünf Jahren, in denen wir erforschten, wie Menschen Entscheidungen treffen, förderten wir ein Dutzend Fakten über Entscheidungen zwischen riskanten Optionen zutage. Mehrere dieser
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