Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
ist ein Fall von Selbstüberschätzung. Sie scheinen zu glauben, dass sie mehr wissen, als sie es tatsächlich tun.«
»Wir sollten eine Prä-mortem-Sitzung durchführen. Vielleicht fällt jemandem eine Bedrohung ein, die wir vernachlässigt haben.«
TEIL IV
Entscheidungen
25. Irrtümer
Eines Tages Anfang der 1970er-Jahre überreichte mir Amos die Kopie eines Aufsatzes des Schweizer Ökonomen Bruno Frey, in dem die psychologischen Annahmen der volkswirtschaftlichen Theorie diskutiert wurden. Ich habe noch genau die Farbe des Umschlags vor Augen: dunkelrot. Bruno Frey erinnert sich kaum mehr an diesen Aufsatz, aber ich kenne seinen ersten Satz noch immer auswendig: »Der Agent der volkswirtschaftlichen Theorie ist rational, egoistisch, und seine Präferenzen verändern sich nicht.«
Ich war erstaunt. Meine Kollegen vom wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich arbeiteten in dem Gebäude nebenan, aber ich hatte nicht geahnt, wie groß der Unterschied zwischen unseren intellektuellen Welten ist. Für einen Psychologen versteht es sich von selbst, dass Menschen weder vollkommen rational noch völlig egoistisch sind und dass ihre Präferenzen alles andere als stabil sind. Unsere beiden Disziplinen schienen verschiedene Spezies zu erforschen, die der Verhaltensökonom Richard Thaler später Econs (Homo oeconomicus) und Humans (Normalsterbliche) nannte.
Anders als Econs haben die Humans , die von Psychologen erforscht werden, ein System 1. Ihr Weltbild wird durch die Informationen eingeschränkt, die zum jeweiligen Zeitpunkt verfügbar sind (WYSIATI), und daher können sie nicht so konsistent und logisch wie Econs sein. Sie sind manchmal großzügig und oftmals bereit, etwas für die Gruppe zu tun, mit der sie verbunden sind. Und sie haben häufig keine genaue Vorstellung davon, was sie nächstes Jahr oder auch morgen mögen werden. Hier bot sich also die Gelegenheit zu einem interessanten interdisziplinären Gespräch. Ich ahnte nicht, dass meine weitere wissenschaftliche Laufbahn maßgeblich von diesem Gespräch beeinflusst werden sollte.
Bald nachdem mir Amos Freys Aufsatz gezeigt hatte, schlug er vor, wir sollten das Studium der Entscheidungsfindung zu unserem nächsten gemeinsamen Projekt machen. Ich wusste so gut wie nichts über dieses Thema, aber Amos war ein Experte und ein Star auf diesem Gebiet, und er sagte, er würde mich coachen. Noch als Doktorand war er einer der Mitverfasser des Lehrbuchs Mathematical Psychology , und er empfahl mir die Lektüre einiger Kapitel, die er für eine gute Einführung in das Thema hielt. 1
Schon bald erfuhr ich, dass wir die Einstellungen von Menschen zu riskanten Optionen erforschen und nach einer Antwort auf eine konkrete Frage suchen würden: Nach welchen Regeln wählen Menschen zwischen verschiedenen einfachen Lotterien (Glücksspielen) und zwischen Lotterien und sicheren Optionen?
Einfache Lotterien (wie etwa »eine 40-prozentige Chance, 300 Dollar zu gewinnen«) sind für Forscher auf dem Gebiet der Entscheidungsfindung das, was die Fruchtfliege für Genetiker ist. Die Entscheidungen zwischen solchen Glücksspielen liefern ein einfaches Modell, das in wichtigen Merkmalen mit jenen komplexeren Entscheidungen übereinstimmt, die Forscher verstehen wollen. In Lotterien spiegelt sich die Tatsache wider, dass die Folgen von Entscheidungen niemals sicher vorhersehbar sind. Selbst scheinbar sichere Ergebnisse sind ungewiss: Wenn man den Kaufvertrag für eine Wohnung unterzeichnet, kennt man nicht den Preis, zu dem man sie später vielleicht verkaufen muss, und man weiß auch nicht, dass der Sohn des Nachbarn bald damit anfangen wird, Tuba zu üben. Jede wichtige Entscheidung, die wir im Leben treffen, geht mit einer bestimmten Ungewissheit einher – aus diesem Grund hoffen Wissenschaftler, die das menschliche Entscheidungsverhalten erforschen, dass einige der Erkenntnisse, die sich in Modellsituationen gewinnen lassen, auf interessantere Alltagsprobleme anwendbar sind. Aber natürlich besteht für Entscheidungstheoretiker die hauptsächliche Motivation zur Erforschung einfacher Glücksspiele darin, dass andere Entscheidungstheoretiker das Gleiche tun.
Die Disziplin verfügte über eine Theorie, die Erwartungsnutzentheorie, die die Grundlage des Modells vom rationalen Agenten bildet und die bis heute die wichtigste Theorie in den Sozialwissenschaften ist. Diese Theorie wurde nicht als psychologisches Modell entwickelt; sie sollte vielmehr die Logik von
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