Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
die »habgierige« Entscheidung bereuen wird, wenn man sich für das Glücksspiel entscheidet und verliert, da man ein sicheres Geschenk von 150 000 Dollar ausschlug. Man bereut ein Ergebnis dann, wenn man eine hochwertige Option, die man hätte wählen können, verworfen hat.
Mehrere Ökonomen und Psychologen haben Modelle der Entscheidungsfindung vorgeschlagen, die auf den Emotionen von Reue und Enttäuschung basieren. 8 Es trifft wohl zu, dass diese Modelle weniger einflussreich waren als die Neue Erwartungstheorie, und der Grund dafür ist aufschlussreich. Die Emotionen von Reue und Enttäuschung sind real, und Entscheider antizipieren bei der Entscheidungsfindung sicherlich diese Gefühle. Das Problem besteht darin, dass Theorien auf der Basis von Bedauern nur wenige treffende Vorhersagen machen, die sie gegenüber der Neuen Erwartungstheorie auszeichnen würden, welche den Vorteil hat, einfacher zu sein. Die Komplexität der Neuen Erwartungstheorie war im Wettstreit mit der Erwartungsnutzentheorie akzeptabler, weil sie Beobachtungen vorhersagte, die die Erwartungsnutzentheorie nicht erklären konnte.
Differenziertere und realistischere Annahmen genügen nicht, um eine Theorie erfolgreich zu machen. Wissenschaftler benutzen Theorien als einen Werkzeugkasten, und sie belasten sich nur dann mit einem schwereren Kasten, wenn die neuen Werkzeuge sehr nützlich sind. Die Neue Erwartungstheorie wurde von vielen Wissenschaftlern nicht deshalb anerkannt, weil sie »wahr« ist, sondern weil die Konzepte, die sie zusätzlich in die Nutzentheorie einführte, insbesondere den Referenzpunkt und die Verlustaversion, die Mühe wert waren; sie erbrachten neue Vorhersagen, die sich als zutreffend erwiesen. Wir hatten Glück.
Zum Thema »Neue Erwartungstheorie«
»Er leidet an einer extremen Verlustaversion, die ihn dazu veranlasst, alle günstigen Chancen zu verwerfen.«
»In Anbetracht ihres riesigen Vermögens ist ihre emotionale Reaktion auf triviale Gewinne und Verluste unverständlich.«
»Er gewichtet Verluste etwa doppelt so hoch wie Gewinne, was normal ist.«
27. Der Endowment-Effekt
Vermutlich haben Sie das Diagramm in Abbildung 11 – oder ein ähnliches – schon einmal irgendwo gesehen, auch wenn Sie keinen Unterricht in Wirtschaftswissenschaften hatten. Der Graph zeigt das sogenannte »Indifferenzkurvensystem« eines Individuums für zwei Güter.
Abbildung 11
In Einführungskursen in die Volkswirtschaftslehre lernen Studenten, dass jeder Punkt auf den Kurven eine bestimmte Kombination von Einkommen und Anzahl der Urlaubstage spezifiziert. Jede »Indifferenzkurve« verknüpft die Kombinationen der beiden Güter, die gleich begehrenswert sind – den gleichen Nutzen haben. Die Kurven würden zu parallelen Geraden, wenn Menschen bereit wären, Urlaubstage zum selben Preis für zusätzliches Einkommen zu »verkaufen«, unabhängig davon, wie viel Einkommen und wie viel Urlaubszeit sie
haben. Die konvexe Form veranschaulicht den rückläufigen Grenznutzen: Je mehr Freizeit man hat, umso weniger wert ist einem ein zusätzlicher Urlaubstag, und jeder zusätzliche Tag ist weniger wert als der Tag zuvor. In ähnlicher Weise ist es so, dass mit steigendem Einkommen der Wert jedes zusätzlichen Dollars abnimmt, während der Betrag ansteigt, auf den man für einen zusätzlichen Urlaubstag zu verzichten bereit ist.
Alle Positionen auf einer Indifferenzkurve sind gleichermaßen attraktiv. Genau das bedeutet »Indifferenz«: Es ist einem egal, wo man sich auf einer Indifferenzkurve befindet. Wenn A und B für Sie auf derselben Indifferenzkurve liegen, sind Sie ihnen gegenüber indifferent, und Sie brauchen keinen Anreiz, um sich von einem Punkt zum anderen oder zurück zu bewegen. Eine Version dieses Diagramms findet sich in jedem wirtschaftswissenschaftlichen Lehrbuch der letzten hundert Jahre, und viele Millionen Studenten haben diese Kurven betrachtet. Aber nur wenigen ist aufgefallen, was fehlt. Die Erklärungskraft und Eleganz eines theoretischen Modells haben Studenten und Wissenschaftler ein weiteres Mal blind gemacht für einen gravierenden Mangel.
In der Abbildung fehlt nämlich die Angabe des gegenwärtigen Einkommens und der gegenwärtigen Urlaubstage eines Individuums. 1 Wenn Sie Angestellter sind, sind in Ihrem Arbeitsvertrag die Höhe Ihres Gehalts und die Anzahl Ihrer Urlaubstage genau festgelegt – und diese entsprechen einem Punkt auf einer Kurve. Dies ist Ihr Referenzpunkt, Ihr Status
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