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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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kompensieren. Albert wird auf A bleiben, weil der Nachteil eines Wechsels den Vorteil überwiegt. Die gleiche Überlegung gilt für Ben, der ebenfalls seinen gegenwärtigen Arbeitsplatz behalten will, weil der Verlust der mittlerweile hochgeschätzten zusätzlichen Urlaubstage schwerer wiegt als der Nutzen des zusätzlichen Einkommens.
    Dieses Beispiel verdeutlicht zwei Aspekte von Wahlhandlungen, die das Standardmodell der Indifferenzkurven nicht vorhersagt. Erstens, Präferenzen sind nicht konstant; sie schwanken mit dem Referenzpunkt. Zweitens, die Nachteile eines Wechsels fallen stärker ins Gewicht als seine Vorteile, was eine Verzerrung erzeugt, die den Status quo begünstigt. Natürlich folgt aus der Verlustaversion nicht, dass man es niemals vorzieht, seine Situation zu verändern; die Vorteile einer Chance mögen sogar schwerer wiegen als übergewichtete Verluste. Aus der Verlustaversion folgt lediglich, dass Wahlen eine starke Verzerrung zugunsten der Referenzsituation aufweisen (und eine allgemeine Tendenz zur Begünstigung kleiner statt großer Veränderungen zeigen).
    Herkömmlichen Indifferenzkurven und Bernoullis Darstellung von Ergebnissen als Vermögenszuständen ist eine Fehlannahme gemeinsam: dass der individuelle Nutzen eines Zustands nur von diesem Zustand abhängig sei und nicht von der individuellen Geschichte beeinflusst würde. Es war eine der Leistungen der Verhaltensökonomik, dass sie diesen Fehler korrigiert hat.

Der Endowment-Effekt
    Die Frage, wann eine bestimmte Theorie oder eine Bewegung ihren Anfang nahm, ist oftmals schwer zu beantworten, aber der Ursprung dessen, was heute »Verhaltensökonomik« genannt wird, lässt sich genau angeben. Anfang der 1970er-Jahre hatte Richard Thaler, der damals an dem sehr konservativen Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Universität Rochester studierte, erstmals häretische Gedanken. Thaler hatte von jeher einen scharfen Verstand und eine Neigung zur Ironie, und als Student amüsierte er sich damit, Verhaltensbeobachtungen zusammenzutragen, die das Modell vom rationalen ökonomischen Verhalten nicht erklären konnte. Mit besonderer Wonne registrierte er Hinweise auf ökonomische Irrationalität bei seinen Professoren, und eines dieser Beispiele war besonders frappierend.
    Professor R. (der mittlerweile als Richard Rosett identifiziert und später Dekan der Betriebswirtschaftlichen Fakultät der Universität Chicago wurde) war ein entschiedener Anhänger der ökonomischen Standardtheorie sowie ein anspruchsvoller Weinliebhaber. Thaler fiel auf, dass Professor R. nur äußerst ungern eine Flasche aus seiner Sammlung verkaufte – auch nicht für einen hohen Preis von 100 Dollar (in Dollar von 1975!). Professor R. kaufte Wein auf Auktionen, aber er zahlte nie mehr als 35 Dollar für eine Flasche dieser Qualität. Bei Preisen zwischen 35 und 100 Dollar kaufte und verkaufte er nicht. Die große Lücke ist inkonsistent mit der ökonomischen Theorie, der zufolge die Flasche für den Professor einen genau definierten Wert haben sollte. Wenn ihm eine bestimmte Flasche 50 Dollar wert sei, dann sollte er bereit sein, sie für jeden Betrag über 50 Dollar zu verkaufen. Wenn ihm die Flasche nicht gehörte, sollte er bereit sein, jeden Betrag bis zur Höhe von 50 Dollar dafür zu bezahlen. 3 Der gerade noch akzeptable Verkaufspreis und der gerade noch akzeptable Kaufpreis hätten identisch sein sollen, tatsächlich aber war der minimale Verkaufspreis (100 Dollar) viel höher als der maximale Kaufpreis von 35 Dollar. Der Besitz des Guts schien seinen Wert zu steigern.
    Richard Thaler fand viele Beispiele für das, was er den »Endowment-Effekt« (»Besitztumseffekt«) nannte, insbesondere für Güter, die üblicherweise nicht gehandelt werden. Sie können sich leicht in eine ähnliche Situation hineindenken. Angenommen, Sie besitzen eine Eintrittskarte für ein ausverkauftes Konzert einer populären Band, die sie zum regulären Preis von 200 Dollar gekauft haben. Sie sind ein absoluter Fan, und Sie wären bereit gewesen, bis zu 500 Dollar für die Eintrittskarte zu bezahlen. Jetzt haben Sie das Ticket und
erfahren im Internet, dass reichere oder noch größere Fans 3000 Dollar bieten. Würden Sie verkaufen? Wenn Sie den meisten Besuchern ausverkaufter Veranstaltungen gleichen, verkaufen Sie nicht. Ihr niedrigster Verkaufspreis liegt über 3000 Dollar, und Ihr maximaler Kaufpreis beträgt 500 Dollar. Dies ist ein Beispiel für einen Endowment-Effekt, und

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