Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Empfindlichkeit zu Risikofreude.
Das ist kein Widerspruch. Im gemischten Fall wird der potenzielle Verlust doppelt so hoch bewertet wie der potenzielle Gewinn, wie leicht ersichtlich ist, wenn man die Steigungen der Wertfunktion für Verluste und Gewinne vergleicht. Bei der »Wahl zwischen zwei Übeln« verursacht die Krümmung der Wertkurve (abnehmende Sensibilität) Risikofreude. Das Unbehagen über einen Verlust von 900 Dollar wiegt schwerer als 90 Prozent des Unbehagens über einen Verlust von 1000 Dollar. Diese beiden Erkenntnisse sind die Quintessenz der Neuen Erwartungstheorie.
Abbildung 10 zeigt eine plötzliche Veränderung in der Steigung der Wertfunktion dort, wo Gewinne zu Verlusten werden, weil es auch dann, wenn der auf dem Spiel stehende Betrag im Verhältnis zu Ihrem Vermögen verschwindend gering ist, eine erhebliche Verlustabneigung gibt. Ist es plausibel, dass Einstellungen zu Vermögenszuständen die extreme Abneigung gegenüber geringen Risiken erklären könnten? Es ist ein bemerkenswertes Beispiel für theorieinduzierte Blindheit, dass dieser offenkundige Fehler in Bernoullis Theorie 250 Jahre lang von der Wissenschaft unbemerkt blieb. Im Jahr 2000 erbrachte der Verhaltensökonom Matthew Rabin endlich den mathematischen Beweis, dass Versuche, die Verlustaversion mit dem Nutzen des Vermögens zu erklären, absurd
und zum Scheitern verurteilt sind – und sein Beweis fand große Beachtung. Rabins Theorem zeigt, dass jeder, der eine günstige Lotterie mit geringen Einsätzen ablehnt, aus mathematischen Gründen auch eine absurd hohe Risikoaversion für eine Wette mit höheren Einsätzen hätte. 5 Er weist zum Beispiel darauf hin, dass die meisten Humans die folgende Lotterie ablehnen:
50-prozentige Chance, 100 Dollar zu verlieren, und 50-prozentige Chance, 200 Dollar zu gewinnen.
Dann zeigt er, dass eine Person, die dieses Glücksspiel ablehnt, laut der Nutzentheorie auch die folgende Lotterie ablehnen wird:
50-prozentige Chance, 200 Dollar zu verlieren, und 50-prozentige Chance, 20 000 Dollar zu gewinnen.
Selbstverständlich wird niemand, der bei klarem Verstand ist, diese Lotterie ablehnen! 6 In einem überschwänglichen Artikel, den sie über den Beweis schrieben, bemerkten Matthew Rabin und Richard Thaler, die Lotterie mit höherem Einsatz »hat einen erwarteten Ertrag von 9900 Dollar – und eine Wahrscheinlichkeit von genau null, mehr als 200 Dollar zu verlieren. Selbst ein lausiger Anwalt könnte einen dafür, dass man dieses Glücksspiel ausschlägt, für unzurechnungsfähig erklären lassen.« 7 Vielleicht haben sie im Schwung ihrer Begeisterung ihren Aufsatz mit einem Verweis auf einen berühmten Sketch von Monty Python beendet, in dem ein frustrierter Kunde versucht, einen toten Papagei in einer Tierhandlung zurückzugeben. Der Kunde beschreibt wortreich den Zustand des Papageis, und seine Ausführungen gipfeln in der Aussage: »Dies ist ein Expapagei.« Rabin und Thaler schlossen daran die Bemerkung an: »Es ist Zeit für die Wirtschaftswissenschaftler, anzuerkennen, dass der Erwartungsnutzen eine Exhypothese ist.« Viele Ökonomen empfanden diese respektlose Aussage beinahe als eine Art Gotteslästerung. Doch die theorieinduzierte Blindheit, die sich darin zeigt, den Nutzen des Vermögens als eine Erklärung für Einstellungen gegenüber kleinen Verlusten zu akzeptieren, ist eine legitime Zielscheibe für humorvolle Kommentare.
Blinde Flecken der Neuen Erwartungstheorie
Bislang habe ich die Vorzüge der Neuen Erwartungstheorie gelobt und das rationale Modell und die Erwartungsnutzentheorie kritisiert. Es ist Zeit für eine gewisse Ausgewogenheit.
Die meisten Studenten der Volkswirtschaftslehre haben von der Neuen Erwartungstheorie und der Verlustaversion gehört, aber diese Begriffe sucht man in der Regel vergeblich im Register einführender Lehrbücher dieser Disziplin. Diese Auslassung schmerzt mich manchmal, aber tatsächlich ist sie durchaus verständlich, wenn man an die zentrale Rolle der Rationalität in der ökonomischen Standardtheorie denkt. Die gängigen Konzepte und Ergebnisse, die Studenten im Grundstudium beigebracht werden, lassen sich leichter erklären, wenn man annimmt, dass Econs keine törichten Fehler machen. Diese Annahme ist wirklich notwendig, und sie würde untergraben, wenn man die Humans der Neuen Erwartungstheorie einführte, deren Beurteilungen von Ergebnissen unangemessen kurzsichtig sind.
Es gibt gute Gründe dafür, die Neue
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