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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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jemand, der fest von der ökonomischen Standardtheorie überzeugt ist, wäre darüber verwundert. 4 Thaler suchte nach einer Erklärung für solche der herrschenden Theorie widersprechenden Beispiele.
    Zufälligerweise machte Thaler bei einer Konferenz die Bekanntschaft eines unserer ehemaligen Studenten, der ihm einen frühen Entwurf der Neuen Erwartungstheorie überreichte. Er berichtet, er habe das Manuskript mit großer Begeisterung gelesen, weil ihm rasch klar wurde, dass die verlustaverse Wertfunktion der Neuen Erwartungstheorie den Endowment-Effekt und einige andere ungelöste Probleme in seiner Sammlung erklären könne. Die Lösung bestand darin, die Standardannahme, der Zustand, eine bestimmte Flasche zu besitzen , habe für Professor R. einen einzigartigen Nutzen, aufzugeben. Die Neue Erwartungstheorie behauptete, die Bereitschaft, die Flasche zu kaufen oder zu verkaufen, hänge von dem Referenzpunkt ab – ob der Professor die Flasche zum jetzigen Zeitpunkt besitzt oder nicht. Wenn er sie besitzt, erwägt er das Unlustgefühl, das mit dem Weggeben der Flasche verbunden ist. Wenn er sie nicht besitzt, erwägt er die Lust, die mit ihrem Erwerb verbunden ist. Aufgrund der Verlustaversion waren die Werte unterschiedlich: Das Weggeben einer Flasche guten Weins erzeugt mehr Unlust, als der Erwerb einer ebenso guten Flasche Lust erzeugt. 5 Erinnern Sie sich an die grafische Darstellung von Verlusten und Gewinnen im vorangehenden Kapitel. Die Steigung der Funktion ist im negativen Bereich steiler; die Reaktion auf einen Verlust ist stärker als die Reaktion auf einen entsprechenden Gewinn. Dies war die Erklärung des Endowment-Effekts, nach der Thaler gesucht hatte. Und die erste Anwendung der Neuen Erwartungstheorie auf ein schwieriges ökonomisches Problem erscheint heute als ein bedeutender Meilenstein in der Entwicklung der Verhaltensökonomik.
    Thaler arrangierte einen einjährigen Forschungsaufenthalt an der Universität Stanford, als er wusste, dass Amos und ich dort seien. Während dieser produktiven Zeit lernten wir viel voneinander und wurden Freunde. Sieben Jahre später hatten er und ich eine weitere Gelegenheit, ein Jahr gemeinsam zu verbringen und unser Gespräch zwischen Psychologie und Wirtschaftswissenschaften fortzusetzen. Die Russell Sage Foundation, die lange Zeit der
wichtigste Finanzier verhaltensökonomischer Forschungen war, gewährte Thaler eines ihrer ersten Stipendien zu dem Zweck, ein Jahr mit mir in Vancouver zu forschen. Während dieses Jahres arbeiteten wir eng mit Jack Knetsch zusammen, einem an der dortigen Universität lehrenden Ökonomen, der sich wie wir intensiv für den Endowment-Effekt, die Regeln ökonomischer Fairness und scharfes chinesisches Essen interessierte.
    Der Ausgangspunkt unserer Forschungsarbeiten war die Feststellung, dass der Endowment-Effekt nicht universell ist. Wenn jemand Sie bittet, einen Fünf-Dollar-Schein gegen fünf Ein-Dollar-Scheine zu tauschen, tun Sie dies, ohne im Geringsten das Gefühl eines Verlustes zu haben. Und auch wenn Sie Schuhe einkaufen gehen, spielt die Verlustaversion keine große Rolle. Der Händler, der die Schuhe gegen Geld weggibt, hat bestimmt nicht das Gefühl, etwas zu verlieren. Tatsächlich waren die Schuhe, die er übereignet, aus seiner Sicht von jeher nur ein platzraubender Ersatz (proxy) für jenes Geld, das er von einem Käufer einzusammeln hoffte. Überdies haben Sie höchstwahrscheinlich das Bezahlen des Händlers nicht als Verlust erlebt, weil Sie das Geld faktisch als einen Ersatz für die Schuhe zurückhielten, die Sie kaufen wollten. Diese Fälle von routinemäßigen Handelsgeschäften unterscheiden sich im Grunde nicht vom Wechseln eines Fünf-Dollar-Scheins in fünf Ein-Dollar-Scheine. Bei routinemäßigen Handelsgeschäften spielt die Verlustaversion auf beiden Seiten keine Rolle.
    Was unterscheidet diese Markttransaktionen von dem Widerwillen des Professor R., seinen Wein zu verkaufen, oder von dem Widerwillen der Besitzer von Super-Bowl-Tickets, ihre Karten selbst zu einem sehr hohen Preis zu verkaufen? 6 Das unterscheidende Merkmal besteht darin, dass sowohl die Schuhe, die Ihnen der Händler verkauft, als auch das Geld, das Sie von ihrem Schuh-Budget ausgeben, »zum Tausch« gehalten werden. Sie sollen gegen andere Güter eingetauscht werden. Andere Güter wie Wein und Super-Bowl-Tickets werden »zur Nutzung« bereitgehalten, also zum Verbrauch oder für eine andere genussvolle Verwendung. Unsere Freizeit

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