Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
fühlen!«
»Sie sollen ein Kästchen ankreuzen, um sich aus ihrer Mailingliste auszutragen. Diese Liste würde schrumpfen, wenn Sie aufgefordert würden, ein Kästchen anzukreuzen, um in die Mailingliste aufgenommen zu werden!«
TEIL V
Zwei Selbste
Erfahrungsnutzen
Meine Faszination für die möglichen Diskrepanzen zwischen Erfahrungs- und Entscheidungsnutzen reicht weit zurück. Als Amos und ich noch an der Neuen Erwartungstheorie arbeiteten, formulierte ich ein Problem, das folgendermaßen lautete: Stellen Sie sich eine Person vor, die jeden Tag eine schmerzhafte Injektion bekommt. Es findet keine Gewöhnung statt; der Schmerz ist Tag für Tag der gleiche. Messen Menschen der Verringerung der Anzahl der geplanten Injektionen von 20 auf 18 den gleichen Wert bei wie einer Reduktion von sechs auf vier? Gibt es irgendeine Rechtfertigung dafür, gegebenenfalls einen Unterschied zu machen?
Ich habe keine Daten erhoben, weil das Ergebnis auf der Hand lag. Sie können es selbst überprüfen: Sie würden für die Verringerung der Anzahl der Injektionen um ein Drittel (von sechs auf vier) mehr bezahlen als für eine Reduktion um ein Zehntel (von 20 auf 18). Der Entscheidungsnutzen der Vermeidung zweier Injektionen ist im ersten Fall höher als im zweiten, und jeder wird für die erste Reduktion mehr bezahlen als für die zweite. Aber dieser Unterschied ist absurd. Wenn sich der Schmerz von Tag zu Tag nicht ändert, was sollte dann rechtfertigen, dass man der Verringerung des Gesamtschmerzes um zwei Injektionen – in Abhängigkeit von der Anzahl der vorhergehenden Injektionen – verschiedene Nutzwerte zuschreibt? In der heutigen Begrifflichkeit formuliert, führte das Problem die Vorstellung ein, der Erfahrungsnutzen lasse sich mit der Anzahl der Injektionen messen. Es legte auch den Schluss nahe, dass der Erfahrungsnutzen, zumindest in einigen Fällen, das Kriterium ist, nach dem eine Entscheidung beurteilt werden sollte. Ein Entscheider, der verschiedene Geldbeträge zahlt, um den gleichen Gewinn an Erfahrungsnutzen zu erreichen (oder sich den gleichen Verlust zu ersparen), macht einen Fehler. Vielleicht finden Sie diese Feststellung selbstverständlich, aber in der Entscheidungstheorie ist die einzige Basis dafür, eine Entscheidung als falsch zu beurteilen, die Inkonsistenz mit anderen Präferenzen. Amos und ich diskutierten das Problem, aber wir verfolgten es nicht weiter. Viele Jahre später kam ich darauf zurück.
Erfahrung und Gedächtnis
Wie lässt sich der erfahrene Nutzen messen? Wie sollten wir Fragen beantworten wie »Wie viel Schmerzen litt Helen während des medizinischen Eingriffs ?« oder »Wie viel Vergnügen bereiteten ihr zwanzig Minuten am Strand?«. Der britische Ökonom Francis Edgeworth machte sich im 19. Jahrhundert Gedanken über dieses Thema und wartete mit der Idee eines »Hedonimeters« auf, eines imaginären Instruments, ähnlich den Geräten, die in Wetterstationen eingesetzt werden, das die Intensität der Lust beziehungsweise Unlust, die eine Person zu jedem beliebigen Zeitpunkt erlebt, messen sollte. 3
Der Erfahrungsnutzen sollte genauso schwanken wie die Tagestemperatur oder der Luftdruck, und die Ergebnisse sollten als eine Funktion der Zeit dargestellt werden. Die Antwort auf die Frage, wie viel Schmerz oder Lust Helen während ihrer medizinischen Behandlung oder ihres Strandaufenthalts erlebte, wäre die »Fläche unter der Kurve«. Die Zeit spielt in Edgeworths Konzeption eine entscheidende Rolle. Wenn Helen vierzig statt zwanzig Minuten am Strand verbringt und ihr Vergnügen genauso intensiv bleibt, dann verdoppelt sich der gesamte Erfahrungsnutzen dieser Episode – so wie die Verdopplung der Anzahl der Injektionen einer Injektionsserie doppelt so schmerzhaft ist. Dies war Edgeworths Theorie, und wir haben heute eine recht genaue Vorstellung von den Bedingungen, unter denen sie gilt. 4
Die Diagramme in Abbildung 15 zeigen Profile der Erfahrungen von zwei Patienten, die sich einer schmerzhaften Darmspiegelung unterzogen. Sie stammen aus einer Studie, die Don Redelmeier und ich gemeinsam entwarfen. Redelmeier, Arzt und Forscher an der Universität Toronto, führte sie Anfang der 1990er-Jahre durch. 5 Bei dieser Untersuchung werden heute routinemäßig ein Narkotikum und ein amnestisches Medikament eingesetzt, aber als unsere Daten erhoben wurden, waren diese Medikamente noch nicht so weit verbreitet. Die Patienten wurden alle sechzig Sekunden nach der Intensität der
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