Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
weist darauf hin, dass die Organspenderrate in Österreich nahe bei 100 Prozent liegt, während sie in Deutschland nur 12 Prozent beträgt, hingegen 86 Prozent in Schweden, aber nur 4 Prozent in Dänemark.
Diese gewaltigen Unterschiede sind ein Framing-Effekt, der durch das Format der entscheidenden Frage verursacht wird. Die Länder mit hoher Organspendenbereitschaft haben eine Nichteinverständnis-Klausel; Personen, die ihre Organe nicht spenden wollen, müssen ein entsprechendes Kästchen ankreuzen. Ansonsten gelten sie als bereitwillige Spender. Die Länder mit geringer Spendenbereitschaft haben einen ausdrücklichen Einverständnisvorbehalt: Man muss ein Kästchen markieren, um zu einem Spender zu werden. Das ist alles. Der beste Prädiktor für die Organspendenbereitschaft von Menschen ist die Bezeichnung der Standardoption, die gilt, ohne dass man ein Kästchen ankreuzen muss.
Anders als andere Framing-Effekte, die auf Merkmale von System 1 zurückgeführt wurden, lässt sich der Organspendeneffekt am besten mit der Faulheit von System 2 erklären. Menschen werden das Kästchen ankreuzen, wenn sie bereits beschlossen haben, was sie tun wollen. Wenn sie nicht auf die Frage
vorbereitet sind, müssen sie angestrengt darüber nachdenken, ob sie das Kästchen ankreuzen wollen. Ich stelle mir ein Organspendenformular vor, in dem Menschen ein mathematisches Problem in dem Kästchen lösen sollen, das ihrer Entscheidung entspricht. Eines der Kästchen enthält das Problem 2 + 2 = ? Das Problem im anderen Kästchen ist 13 × 37 = ? Die Spendenrate würde dadurch mit Sicherheit beeinflusst werden.
Wenn die Bedeutung der Formulierung anerkannt wird, erhebt sich eine politische Frage: Welche Formulierung sollte gewählt werden? In diesem Fall ist die Antwort einfach. Wenn man der Ansicht ist, ein großes Angebot an Spenderorganen sei im Interesse der Gesellschaft, wird man nicht neutral sein zwischen einer Formulierung, die eine fast hundertprozentige Spendenbereitschaft hervorruft, und einer anderen Formulierung, die nur 4 Prozent der Autofahrer zu Spendern macht.
Wie wir immer wieder gesehen haben, wird eine wichtige Entscheidung von einem völlig belanglosen Merkmal der Situation bestimmt. Das ist beschämend – wir würden wichtige Entscheidungen lieber anders treffen. Außerdem erleben wir selbst diese gedanklichen Prozesse ganz anders, aber es ist unbestreitbar, dass diese kognitiven Illusionen existieren.
Wir können das als ein Argument gegen die Theorie vom rationalen Agenten zählen. Eine Theorie, die diesen Namen verdient, behauptet, dass gewisse Ereignisse unmöglich sind – sie ereignen sich nicht, wenn die Theorie wahr ist. Wird ein »unmögliches« Ereignis beobachtet, gilt die Theorie als widerlegt. Theorien können noch lange Zeit, nachdem sie durch schlüssige Beweise widerlegt wurden, fortbestehen, und das Modell des rationalen Agenten hat die empirischen Belege, die wir gesehen haben, und auch viele andere Gegenbeweise überdauert.
Der Fall der Organspenden zeigt, dass die wissenschaftliche Debatte über die Frage, wie rational wir Menschen uns verhalten, weitreichende Folgen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit hat. Ein bedeutender Unterschied zwischen denjenigen, die an das Modell des rationalen Agenten glauben, und den Skeptikern, die es bezweifeln, besteht darin, dass seine Verfechter es einfach als selbstverständlich erachten, dass die Formulierung eines Entscheidungsproblems die diesbezüglichen Präferenzen nicht determiniert. Sie interessieren sich nicht einmal dafür, das Problem zu erforschen – und so müssen wir uns oft mit suboptimalen Ergebnissen begnügen.
Skeptiker, die die Rationalität des Menschen eher als gering einstufen, überrascht das nicht. Sie haben gelernt, eine besondere Sensibilität für scheinbar
belanglose Faktoren zu entwickeln, die unsere Präferenzen bestimmen – ich hoffe, dass die Leser dieses Buches die gleiche Sensibilität erworben haben.
Zum Thema »Frames und Wirklichkeit«
»Sie werden das, was geschehen ist, positiver sehen, wenn es ihnen gelingt, das Ergebnis danach zu framen, wie viel Geld sie behalten haben, statt wie viel sie verloren haben.«
»Wir wollen das Problem reframen, indem wir den Referenzpunkt verändern. Stellen wir uns vor, es würde uns nicht gehören – wie viel wäre es uns wert?«
»Belasten Sie Ihr mentales Konto für ›allgemeine Einnahmen‹ mit dem Verlust – Sie werden sich besser
Weitere Kostenlose Bücher