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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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den Primat des Ist vergessen.« Was genau sein Lehrer mit diesem Satz gemeint hatte, habe ich nie verstanden (und Amos wohl auch nicht), aber Amos’ Witze hatten immer eine ernste Pointe. Dieser Satz fiel ihm (und schließlich auch mir) immer ein, wenn wir die bemerkenswerte Asymmetrie feststellten zwischen der Art und Weise, wie das Gehirn gegenwärtig verfügbare Informationen verarbeitet, und der, wie es mit Informationen umgeht, die es nicht hat.
    Es ist ein zentrales Konstruktionsmerkmal der Assoziationsmaschine, dass sie nur aktivierte Vorstellungen repräsentiert. Informationen, die nicht (und sei es unbewusst) aus dem Gedächtnis abgerufen werden, existieren gewissermaßen nicht. System 1 versteht sich hervorragend darauf, die bestmögliche Geschichte zu konstruieren, die momentan aktivierte Vorstellungen einbezieht, aber es kann keine Informationen berücksichtigen, die es nicht hat.
    Das Erfolgskriterium von System 1 ist die Kohärenz der Geschichte, die es erschafft. Die Menge und Qualität der Daten, auf denen die Geschichte beruht, ist weitgehend belanglos. Wenn Informationen knapp sind – was häufig der Fall ist –, fungiert System 1 als eine Maschine für »Urteilssprünge«. Betrachten wir folgendes Beispiel: »Wird Mindik eine gute Führungskraft sein? Sie ist intelligent und stark …« Ihnen fiel schnell eine Antwort ein, und diese lautete Ja. Sie wählten auf der Grundlage der sehr beschränkten Informationen, die verfügbar waren, die beste Antwort aus, aber Sie haben überstürzt geurteilt. Was, wenn die nächsten beiden Adjektive »korrupt« und »grausam« lauteten?
    Beachten Sie, was Sie nicht getan haben, als Sie kurz an Mindik als eine Führungskraft dachten. Sie fragten sich nicht als Erstes: »Was müsste ich wissen, bevor ich mir eine Meinung über die Führungskompetenz einer Person bilde?« System 1 begann von dem ersten Adjektiv an, spontan zu arbeiten: intelligent ist gut, intelligent und stark ist sehr gut. Dies ist die beste Geschichte, die sich aus zwei Adjektiven konstruieren lässt, und System 1 erstellte sie mit großer kognitiver Leichtigkeit. Die Geschichte wird in dem Maße korrigiert, wie neue Informationen verfügbar werden (wie etwa: »Mindik ist korrupt«), aber es gibt kein Warten und kein subjektives Unbehagen. Und es bleibt auch eine kognitive Verzerrung zugunsten des ersten Eindrucks. Die Kombination aus einem nach Kohärenz strebenden System 1 und einem trägen System 2 hat zur Folge, dass System 2 viele intuitive Überzeugungen unterstützt, in denen sich die von System 1 erzeugten Eindrücke recht genau widerspiegeln. Natürlich kann System 2 Daten auch systematischer und sorgfältiger verarbeiten und eine Liste von Punkten durchgehen, die überprüft werden müssen, bevor man eine Entscheidung trifft – denken Sie etwa an den Kauf eines Hauses, bei dem Sie gezielt nach Informationen suchen, die Sie nicht haben. Doch wird System 1 auch die sorgfältigeren Entscheidungen beeinflussen. Sein Input hört nie auf.
    Voreilige Schlussfolgerungen (»Urteilssprünge«) auf beschränkter Datenbasis sind so wichtig für das Verständnis intuitiven Denkens und kommen in diesem Buch so häufig vor, dass ich eine etwas sperrige Abkürzung dafür verwenden werde: WYSIATI, was für What you see is all there is (in etwa: »Nur was man gerade weiß, zählt«) steht. System 1 ist völlig unempfindlich für die Qualität und Quantität der Informationen, aus denen Eindrücke und Intuitionen hervorgehen.
    Amos berichtete zusammen mit zwei seiner Doktoranden an der Universität Stanford über eine Studie, die einen direkten Bezug zu WYSIATI hat; dabei ging es darum, die Reaktion von Menschen zu beobachten, die einseitige Informationen erhalten und dies auch wissen. 5 Den Teilnehmern wurden rechtliche Sachverhalte dargeboten, wie etwa der folgende:
    Am 3. September hielt sich der Kläger David Thornton, ein 43-jähriger Gewerkschaftsvertreter, zu einem Routinebesuch im Thrifty Drug Store Nr. 168 auf, um mit Gewerkschaftsmitgliedern zu sprechen. Zehn Minuten nach seinem Eintreffen stellte ihn der Geschäftsführer zur Rede und sagte ihm, er dürfe sich nicht länger in den Verkaufsräumen mit den gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitern unterhalten. Vielmehr solle er
sich in ihrer Pause in einem Hinterzimmer mit ihnen treffen. Eine solche Forderung ist nach dem Tarifvertrag mit Thrifty Drug zulässig, wurde aber bislang nie geltend gemacht. Als Mister Thornton protestierte,

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