Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
Aufsätze eines bestimmten Studenten schwankten oftmals erheblich. Diese mangelnde Kohärenz verunsicherte und frustrierte mich.
Ich war jetzt weniger zufrieden und weniger überzeugt von meinen Zensuren als früher, aber ich erkannte, dass dies ein gutes Zeichen war, ein Hinweis darauf, dass die neue Vorgehensweise besser war. Die Konsistenz, die ich früher erlebt hatte, trog; sie erzeugte ein Gefühl kognitiver Leichtigkeit, und mein System 2 war froh, ohne weitere Anstrengung die Endnote zu akzeptieren. Indem ich mich bei der Bewertung der späteren Aufsätze stark von der ersten Zensur beeinflussen ließ, ersparte ich mir die Dissonanz, die mit der Erkenntnis verbunden gewesen wäre, dass ein und derselbe Student einige Fragen sehr gut und
andere schlecht beantwortete. Die unangenehme Inkonsistenz, die enthüllt wurde, als ich auf die neue Vorgehensweise umstellte, war real: Sie spiegelte sowohl die Tatsache wider, dass eine einzelne Frage den Wissensstand eines Studenten nicht hinreichend erfassen kann, als auch die Unzuverlässigkeit meiner eigenen Notengebung.
Die Vorgehensweise, die ich wählte, um den Halo-Effekt abzuschwächen, entspricht einem allgemeinen Grundsatz: Fehler dekorrelieren! Um zu verstehen, wie dieses Prinzip funktioniert, stellen Sie sich eine große Zahl von Beobachtern vor, denen Glasgefäße gezeigt werden, die Pennys enthalten, und die die Anzahl der Pennys in jedem Gefäß schätzen sollen. Wie James Surowiecki in seinem Bestseller Die Weisheit der Vielen schrieb, schneiden Einzelpersonen bei diesen Aufgaben sehr schlecht ab, während Pools individueller Urteile erstaunlich richtige Ergebnisse liefern. 4 Einige Personen schätzen die tatsächliche Zahl viel zu hoch, andere schätzen sie zu niedrig, aber wenn viele Urteile gemittelt werden, ist der Mittelwert im Allgemeinen recht nah an der Lösung. Der Mechanismus ist einfach: Alle Personen betrachten dasselbe Gefäß, und all ihre Urteile haben eine gemeinsame Basis. Andererseits sind die Fehler, die einzelne Personen machen, unabhängig von den Fehlern, die andere machen, und (sofern kein systematischer Fehler vorliegt) heben sich tendenziell gegenseitig auf. Aber die Magie der Fehlerreduktion funktioniert nur dann gut, wenn die Beobachtungen unabhängig voneinander sind und ihre Fehler nicht miteinander korrelieren. Wenn alle Beobachter den gleichen Urteilsfehler begehen, wird dieser durch die Anhäufung von Urteilen nicht vermindert. Wenn man den Beobachtern erlaubt, sich gegenseitig wirksam zu beeinflussen, verringert dies die Größe der Stichprobe und damit die Genauigkeit der Gruppenschätzung.
Um aus vielen verschiedenen Datenquellen die nützlichsten Informationen zu gewinnen, sollte man immer versuchen, diese Quellen unabhängig voneinander zu machen. Diese Regel gilt für jedes gute polizeiliche Ermittlungsverfahren. Wenn es mehrere Zeugen für eine Tat gibt, dürfen diese nicht miteinander sprechen, bevor sie ihre Aussage machen. Dies soll nicht nur geheimes Zusammenwirken gegnerischer Zeugen verhindern, es soll auch unvoreingenommene Zeugen davon abhalten, sich gegenseitig zu beeinflussen. Zeugen, die sich über Erlebnisse austauschen, machen bei ihren Aussagen ähnliche Fehler und vermindern so den Gesamtwert der von ihnen gelieferten Informationen. Es ist immer gut, die Redundanz von Informationsquellen zu verringern.
Das Prinzip unabhängiger Urteile (und dekorrelierter Fehler) lässt sich unmittelbar anwenden, um Sitzungen effektiver zu gestalten – eine Aktivität, mit
der Führungskräfte in Organisationen einen Großteil ihrer Arbeitstage verbringen. Schon eine einfache Regel hilft: Bevor ein Problem erörtert wird, sollten alle Ausschussmitglieder eine sehr kurze Zusammenfassung ihres Standpunktes zu Papier bringen. Dieses Verfahren sorgt dafür, dass die Vielfalt der Kenntnisse und Meinungen innerhalb der Gruppe optimal genutzt wird. Die gängige Praxis offener Diskussionen gibt den Meinungen derjenigen, die als Erste zu Wort kommen und ihren Standpunkt sehr bestimmt artikulieren und andere dadurch dazu veranlassen, sich hinter ihnen einzureihen, zu viel Gewicht.
What you see is all there is
Eine meiner Lieblingserinnerungen aus den ersten Jahren meiner Zusammenarbeit mit Amos ist ein kurzer Sketch, den er immer wieder gern zum Besten gab. In einer perfekten Nachahmung eines Philosophie-Professors, bei dem er studierte, brummte Amos in Hebräisch mit einem starken deutschen Akzent: »Sie dürfen niemals
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