Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
bekamen Argumente, die die geringen Risiken betonten. Diese Nachrichten änderten erfolgreich die emotionale Attraktivität der Technologien. Erstaunlicherweise veränderte sich bei Menschen, die eine Nachricht erhalten hatten, in der die Vorteile einer Technologie gepriesen wurden, auch ihre Einstellung zu deren Risiken. Obgleich sie keine sachdienlichen Informationen erhalten hatten, nahmen sie die Technologie, die ihnen jetzt besser gefiel als zuvor, auch als weniger riskant wahr. In ähnlicher Weise entwickelten Versuchspersonen, denen lediglich mitgeteilt wurde, die Risiken einer Technologie seien gering, eine positivere Einschätzung ihres Nutzens. Die Schlussfolgerung, die sich daraus ergibt, ist klar: »Der emotionale Schwanz wedelt mit dem rationalen Hund«, wie der Psychologe Jonathan Haidt in anderem Zusammenhang schrieb. 4 Die Affektheuristik vereinfacht unser Leben, indem sie eine Welt erschafft, die viel geordneter ist als die Wirklichkeit. In der imaginären Welt, in der wir leben, haben gute Technologien nur geringe Kosten, schlechte Technologien haben keinen Nutzen, und alle Entscheidungen sind leicht. In der realen Welt dagegen müssen wir Nutzen und Kosten oftmals schmerzlich gegeneinander abwägen.
Die Öffentlichkeit und die Experten
Paul Slovic weiß vermutlich mehr über die Eigentümlichkeiten unserer Risikobeurteilungen als irgendjemand sonst. Seine Arbeiten vermitteln ein Bild von Herr und Frau Bürger, das alles andere als schmeichelhaft ist: gelenkt von Emotionen
statt von Vernunft, leicht beeinflussbar durch triviale Details und in unzureichendem Maße empfänglich für Unterschiede zwischen niedrigen und vernachlässigbar niedrigen Wahrscheinlichkeiten. Slovic hat auch Experten erforscht, die wesentlich besser mit Zahlen und Mengen umgehen können. Experten zeigen viele der gleichen Verzerrungen wie die Normalsterblichen in abgeschwächter Form, aber ihre Risikobewertungen und -präferenzen unterscheiden sich oftmals von denen anderer Menschen.
Unterschiede zwischen Experten und der allgemeinen Bevölkerung werden zum Teil mit Verzerrungen bei Urteilen von Laien erklärt, aber Slovic lenkt die Aufmerksamkeit auf Situationen, in denen sich in den Unterschieden ein echter Wertekonflikt widerspiegelt. Er weist darauf hin, dass Experten Risiken oftmals anhand der Anzahl der verlorenen Menschenleben (oder Lebensjahre) messen, während die allgemeine Öffentlichkeit feinere Unterschiede macht, zum Beispiel zwischen »guten Todesfällen« und »schlechten Todesfällen« oder zwischen zufälligen Unfalltoten und Todesfällen, die sich bei Freizeitaktivitäten wie Skifahren ereignen. Diese legitimen Unterscheidungen werden in der Statistik, die bloß Fälle zählt, oftmals ignoriert. Solche Beobachtungen veranlassten Slovic zu der Aussage, Laien hätten ein umfassenderes Risikoverständnis als Experten. Folglich widersetzt er sich entschieden jeglicher »Expertokratie« und der Auffassung, dass Expertenmeinungen kritiklos akzeptiert werden sollten, wenn sie den Meinungen und Wünschen anderer Bürger zuwiderlaufen. Wenn Experten und die Öffentlichkeit unterschiedliche Prioritäten setzten, dann müsse »jede Seite die Erkenntnisse und die Intelligenz der anderen respektieren«, so Slovic.
In seinem Wunsch, die Risikopolitik der alleinigen Kontrolle der Experten zu entwinden, hat Slovic die Grundlage ihrer Expertise (ihres Expertenwissens) infrage gestellt: die Annahme, Risiken seien objektiv.
»Risiken« existieren nicht »da draußen«, unabhängig von unserem Intellekt und unserer Kultur, und warten darauf, gemessen zu werden. Menschen haben den Begriff des »Risikos« erfunden, der ihnen helfen soll, die Gefahren und Ungewissheiten des Lebens zu verstehen und zu meistern. Obwohl diese Gefahren real sind, gibt es kein »reales Risiko« oder »objektives Risiko«. 5
Um seine Behauptung zu veranschaulichen, listet Slovic neun mögliche Definitionen des mit der Freisetzung von Giftstoffen in die Luft verbundenen Sterblichkeitsrisikos auf, angefangen von »Todesfälle pro eine Million Menschen« bis
zu »Todesfälle pro Millionen Dollar an hergestellten Produkten«. Er will damit zeigen, dass die Risikobewertung von der Wahl eines Maßstabs abhängt – mit der offensichtlichen Möglichkeit, dass die Wahl von einer Präferenz für ein bestimmtes Ergebnis geleitet wurde. Er folgert daraus, dass »Risiken zu definieren Macht auszuüben bedeutet«. Hätten Sie gedacht, dass experimentelle
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