Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
ihrerseits wird durch Neuigkeit und Prägnanz verzerrt. Die Medien prägen nicht nur das Interesse der Öffentlichkeit, sie werden ihrerseits von diesem Interesse beeinflusst. Redakteure können die Forderungen der Öffentlichkeit nach ausführlicher Berichterstattung über bestimmte Themen und Standpunkte nicht ignorieren. Ungewöhnliche Ereignisse (etwa Lebensmittelvergiftungen) ziehen unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit auf sich und werden daher als weniger ungewöhnlich wahrgenommen, als sie es tatsächlich sind. Die Welt in unseren Köpfen ist keine exakte Kopie der Wirklichkeit; unsere Erwartungen bezüglich der Häufigkeit von
Ereignissen werden durch die Verbreitung und emotionale Intensität der Nachrichten, denen wir ausgesetzt sind, verzerrt.
In den Schätzungen von Todesursachen spiegelt sich die Aktivierung von Vorstellungen im assoziativen Gedächtnis praktisch direkt wider, und sie sind ein gutes Beispiel für Ersetzungen. Aber Slovic und seine Kollegen gelangten zu einer tieferen Einsicht: Sie erkannten, dass die Leichtigkeit, mit der uns Vorstellungen verschiedener Risiken einfallen, und die emotionalen Reaktionen auf diese Risiken untrennbar miteinander verbunden sind. Erschreckende Gedanken und Bilder fallen uns besonders leicht ein, und leicht abrufbare und anschauliche Vorstellungen von Gefahren verstärken die Furcht.
Wie bereits erwähnt, erarbeitete Slovic schließlich das Konzept der Affektheuristik, das besagt, dass wir bei Urteilen und Entscheidungen unsere Emotionen zurate ziehen: Mag ich das? Hasse ich es? Wie stark reagiere ich emotional darauf? In vielen Lebensbereichen, so Slovic, bilden sich Menschen Meinungen und treffen Entscheidungen, die unmittelbar ihre Gefühle und ihre grundlegende Annäherungs- oder Vermeidungstendenz zum Ausdruck bringen, oftmals ohne zu wissen, dass sie dies tun. Die Affektheuristik ist ein Fall von Ersetzung, bei dem die Antwort auf eine leichte Frage (Welche Gefühle weckt das in mir?) als Antwort auf eine viel schwierigere Frage dient (Was denke ich darüber?). Slovic und seine Mitarbeiter stellten ihre Erkenntnisse in den Kontext der Arbeiten des Neurowissenschaftlers Antonio Damasio, der die Ansicht vertritt, dass unsere emotionalen Bewertungen von Ergebnissen und die damit verbundenen Körperzustände und Annäherungs- sowie Vermeidungstendenzen eine zentrale Rolle bei der menschlichen Entscheidungsfindung spielen. Damasio und seine Mitarbeiter haben beobachtet, dass Menschen, die, manchmal aufgrund von Hirnschädigungen, nicht die angemessenen Emotionen zeigen, bevor sie eine Entscheidung treffen, auch in ihrer Fähigkeit beeinträchtigt sind, gute Entscheidungen zu treffen. 1 Die Unfähigkeit, sich von einer »gesunden Furcht« vor negativen Konsequenzen leiten zu lassen, ist ein katastrophaler Defekt.
Slovics Forschungsgruppe hat die Funktionsweise der Affektheuristik in einer Studie sehr überzeugend nachvollzogen. Sie befragten Probanden nach ihren Meinungen über verschiedene Technologien wie Trinkwasser-Fluoridierung, Chemiefabriken, Konservierungsstoffe in Lebensmitteln und Autos, und sie forderten die Teilnehmer auf, den Nutzen und die Risiken jeder Technologie aufzulisten. 2 Sie beobachteten eine unglaubwürdig hohe negative Korrelation zwischen zwei Schätzungen, die ihre Probanden machten: dem Nutzwert und der Risikohaftigkeit, die sie den Technologien zuschrieben. Wenn Personen eine positive
Einstellung zu einer Technologie hatten, schrieben sie ihr einen großen Nutzen und ein geringes Risiko zu; wenn sie eine Technologie nicht mochten, überwogen die Nachteile, die ihnen dazu einfielen, bei Weitem ihre Vorteile. Weil die Technologien klar als positiv oder negativ eingestuft wurden, waren keine schmerzlichen Kompromisse erforderlich. Risiko-Nutzen-Schätzungen entsprachen sich sogar noch mehr, wenn die Probanden Risiken und Nutzen unter Zeitdruck beurteilten. Bemerkenswerterweise reagierten Mitglieder der British Toxicology Society ganz ähnlich: Substanzen oder Technologien, die sie für riskant hielten, stuften sie als wenig nützlich ein und umgekehrt. 3 Affektkonsistenz ist ein zentrales Element dessen, was ich assoziative Kohärenz genannt habe.
Der beste Teil des Experiments kam als Nächstes. Nach Abschluss der ersten Befragung lasen die Probanden kurze Passagen mit Argumenten zugunsten verschiedener Technologien. Einigen wurden Argumente vorgelegt, die sich auf die vielfältigen Vorteile einer Technologie bezogen, andere
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