Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)
niedrige Abrufflüssigkeit veranlasst Menschen, die um zwölf Beispiele gebeten wurden, dazu, sich als nicht durchsetzungsfähig zu beschreiben. Wenn die Überraschung beseitigt wird, wird das Urteil nicht länger von der niedrigen Flüssigkeit beeinflusst. Der Prozess scheint aus einer komplexen Reihe von Schlussfolgerungen zu bestehen. Ist das automatische System 1 dazu in der Lage?
Die Antwort lautet, dass tatsächlich kein komplexer Gedankengang erforderlich ist. Zu den Grundmerkmalen von System 1 gehört die Fähigkeit, Erwartungen festzulegen und überrascht zu sein, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden. Das System ruft auch potenzielle Ursachen einer Überraschung ab, für gewöhnlich dadurch, dass es unter den jüngsten Überraschungen eine mögliche Ursache identifiziert. Außerdem kann System 2 die Erwartungen von System 1 spontan neu einstellen, sodass ein Ereignis, das normalerweise überraschend wäre, jetzt beinahe normal ist. Angenommen, man sagt Ihnen, dass ein dreijähriger Junge aus Ihrer Nachbarschaft häufig einen Zylinder trägt, wenn er im Kinderwagen sitzt. Wenn Sie ihn dann tatsächlich mit diesem Zylinder sehen, wird Sie das viel weniger überraschen, als wenn Sie nicht vorgewarnt worden wären. In Schwarz’ Experiment wurde die Hintergrundmusik als
eine mögliche Ursache von Abrufproblemen erwähnt. Die Schwierigkeit, sich an zwölf Beispiele zu erinnern, ist keine Überraschung mehr, und daher ist es weniger wahrscheinlich, dass sie durch die Aufgabe, die eigene Durchsetzungsfähigkeit zu beurteilen, hervorgerufen wird.
Schwarz und seine Kollegen fanden heraus, dass Menschen, die ein persönliches Interesse an dem Urteil haben, eher die Anzahl der abgerufenen Beispiele betrachten und sich weniger nach der Flüssigkeit richten. Im Zuge einer Studie über die Risiken für Herzerkrankungen stellten sie zwei Studentengruppen zusammen. Die Hälfte der Studenten hatten Verwandte mit Herzerkrankungen, und daher wurde von ihnen erwartet, dass sie die Aufgabe ernster nehmen als die anderen, die in ihrer Familie keine Herzkranken hatten. Alle sollten entweder drei oder acht gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen anführen, die sich auf ihre Herzgesundheit auswirken könnten (einige wurden nach riskanten Gewohnheiten gefragt, andere nach schützenden Gewohnheiten). 6 Studenten, die familiär nicht durch Herzkrankheiten vorbelastet waren, gingen salopp an die Aufgabe heran und hielten sich an die Verfügbarkeitsheuristik. Studenten, die Mühe hatten, acht Beispiele für riskantes Verhalten zu finden, fühlten sich selbst vergleichsweise sicher, und diejenigen, die mühsam nach Beispielen von protektiven Verhaltensweisen suchten, stuften sich als gefährdet ein. Studenten mit familiärer Vorbelastung zeigten das entgegengesetzte Muster – sie fühlten sich sicherer, wenn ihnen viele Beispiele von sicherem Verhalten einfielen, und sie fühlten eine größere Bedrohung, wenn sie sich an viele Beispiele riskanten Verhaltens erinnerten. Sie waren auch eher der Auffassung, dass die Erfahrung der Risikobewertung sich auf ihr zukünftiges Verhalten auswirken würde.
Daraus lässt sich folgern, dass die Abrufleichtigkeit eine System-1-Heuristik ist, die durch einen Inhaltsfokus ersetzt wird, wenn System 2 stärker beansprucht wird. Die Ergebnisse vielfältiger Studien legen die Schlussfolgerung nahe, dass Menschen, die sich von System 1 lenken lassen, anfälliger für Verfügbarkeitsfehler sind als andere, die sich in einem Zustand erhöhter Vigilanz befinden. Nachfolgend sind einige Zustände aufgelistet, in denen Menschen »mit dem Strom schwimmen« und stärker von der Abrufleichtigkeit als von dem abgerufenen Inhalt beeinflusst werden:
– Wenn sie gleichzeitig mit einer anderen anstrengenden Aufgabe beschäftigt sind. 7
– Wenn sie gut gelaunt sind, weil sie gerade an eine glückliche Episode in ihrem Leben gedacht haben. 8
– Wenn sie auf einer Depressionsskala niedrige Werte aufweisen. 9
– Wenn sie sachkundige Neulinge bei dem Thema der Aufgabe sind, 10 im Unterschied zu wahren Experten. 11
– Wenn sie hohes Vertrauen in ihre Intuition haben. 12
– Wenn sie Macht haben (oder man ihnen das Gefühl gibt, Macht zu haben). 13
Den letzten Befund finde ich besonders bemerkenswert. Die Autoren beginnen ihren Artikel mit einem berühmten Zitat: »Ich verbringe nicht viel Zeit damit, Meinungsumfragen rund um die Welt durchzuführen, um herauszufinden, ob das, was ich glaube, richtig ist. Ich
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