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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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aufdrängen. Slovic hat behauptet, das Ausmaß der Besorgtheit sei nicht hinlänglich empfindlich für die Schadenswahrscheinlichkeit; man malt sich den Zähler aus – die tragische Geschichte, die man gerade in den Nachrichten gesehen hat – und denkt nicht über den Nenner nach. Sunstein hat den Ausdruck »Wahrscheinlichkeitsvernachlässigung« geprägt, um dieses Muster zu beschreiben. Die Kombination der Wahrscheinlichkeitsvernachlässigung mit den sozialen Mechanismen von Verfügbarkeitskaskaden führt zwangsläufig zu einer erheblichen Überbewertung unwahrscheinlicher Bedrohungen, manchmal mit weitreichenden Folgen.
    In der heutigen Welt sind Terroristen die bedeutendsten Praktiker der Kunst, Verfügbarkeitskaskaden auszulösen. Abgesehen von einigen wenigen schrecklichen Ausnahmen, wie den Anschlägen vom 11. September 2001, ist die Anzahl der Opfer von Terroranschlägen sehr gering im Vergleich zu anderen Todesursachen. Selbst in Ländern, die Ziele intensiver Terrorkampagnen waren, wie etwa Israel, erreichte die wöchentliche Zahl der Todesopfer praktisch niemals auch nur annähernd die Zahl der Unfalltoten. Der Unterschied liegt in der Verfügbarkeit der beiden Risiken, der Leichtigkeit und Häufigkeit, mit denen sie uns einfallen. Grauenvolle Bilder, die in den Medien endlos wiederholt werden, nehmen uns alle schwer mit. Wie ich aus Erfahrung weiß, ist es schwer, sich durch vernünftiges Argumentieren selbst in einen Zustand völliger Ruhe zu versetzen. Terrorismus spricht direkt System 1 an.
    Wo stehe ich in der Debatte zwischen meinen Freunden? Verfügbarkeitskaskaden sind real, und sie verzerren zweifellos die Prioritäten bei der Zuteilung
öffentlicher Ressourcen. Cass Sunstein würde nach Mechanismen suchen, die Entscheidungsträger vor öffentlichem Druck schützen, und unparteiische Experten, die einen Überblick über alle Risiken und die zu ihrer Reduzierung verfügbaren Ressourcen haben, über die Zuteilung von Ressourcen entscheiden lassen. Paul Slovic vertraut Experten viel weniger und der Öffentlichkeit etwas mehr, als es Sunstein tut, und er weist darauf hin, dass die Isolierung der Experten von den Emotionen der Bürger eine Politik erzeugt, die die Bevölkerung ablehnen wird – eine unhaltbare Situation in einer Demokratie. Beide Standpunkte sind durch und durch vernünftig, und ich schließe mich beiden an.
    Ich teile Sunsteins Unbehagen über den Einfluss irrationaler Ängste und Verfügbarkeitskaskaden auf den politischen Umgang mit Risiken. Aber ich teile auch Slovics Ansicht, dass weitverbreitete Ängste, selbst wenn sie unbegründet sind, von Politikern nicht ignoriert werden sollten. Rational oder nicht, Ängste sind unangenehm und kraftraubend, und Politiker müssen bestrebt sein, die Bevölkerung nicht nur gegen reale Gefahren, sondern auch vor Ängsten zu schützen.
    Slovic betont zu Recht, dass es die Bürger nicht hinnehmen werden, wenn Entscheidungen von nicht gewählten und nicht rechenschaftspflichtigen Experten getroffen werden. Außerdem können Verfügbarkeitskaskaden langfristig vorteilhaft sein, indem sie die Aufmerksamkeit auf Risikoklassen lenken und die Gesamthöhe des Budgets zur Risikominderung erhöhen. Der Love-Canal-Vorfall mag dazu geführt haben, dass unverhältnismäßig viele Ressourcen für die Entsorgung von Giftmüll aufgewendet wurden, aber er hatte auch den allgemeineren Effekt, dass ökologische Belange einen höheren Stellenwert erhielten. Demokratische Entscheidungsfindung ist zwangsläufig eine vertrackte Angelegenheit, zum Teil deshalb, weil die Verfügbarkeits- und die Affektheuristik, die die Überzeugungen und Einstellungen der Bürger prägen, zwangsläufig verzerrt sind, auch wenn sie im Allgemeinen in die richtige Richtung weisen. Psychologische Erkenntnisse sollten bei der Konzipierung von Risikopolitiken, die Expertise mit Emotionen und Intuitionen der Öffentlichkeit verknüpfen, berücksichtigt werden.
    Zum Thema »Verfügbarkeitskaskaden«
     
    »Sie schwärmt von einer Innovation, die einen großen Nutzen und keine Kosten haben soll. Ich vermute, das liegt an der Affektheuristik.«
     
    »Dies ist eine Verfügbarkeitskaskade: Ein Nichtereignis, das von den Medien und der Öffentlichkeit aufgeblasen wurde, bis es unsere Fernsehbildschirme füllt und zum alleinigen Gesprächsthema geworden ist.«

14. Was studiert Tom W.?
    Werfen Sie einen Blick auf diese einfache Denkaufgabe:
    Tom W. ist Student an der größten Universität

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