Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
Vom Netzwerk:
Vorhersagen schrieben. In diesem Wettbewerb hat jeder Sportler zwei Sprünge, und die Addition der Ergebnisse beider Durchgänge ergibt den Endstand. Mit Erstaunen hörte ich die Kommentare des Sportreporters, während sich die Sportler auf den zweiten Sprung vorbereiteten: »Norwegen hatte einen hervorragenden ersten Sprung; er wird angespannt sein, alles daransetzen, seine Führung zu behaupten, und vermutlich nicht mehr so weit springen.« Oder: »Schweden hatte einen schlechten ersten Sprung, und er weiß jetzt, dass er nichts zu verlieren hat, und wird daher entspannt sein, was ihm helfen sollte, eine bessere Leistung zu bringen.« Der Kommentator hatte offensichtlich die Regression zum Mittelwert bemerkt und eine kausale Geschichte erfunden, für die es keine Anhaltspunkte gab. Die Geschichte selbst konnte sogar wahr sein. Wenn wir den Puls der Sportler vor jedem Sprung messen würden, würden wir vielleicht feststellen, dass sie nach einem schlechten ersten Sprung tatsächlich entspannter sind. Vielleicht aber auch nicht. Wir sollten uns merken, dass der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Sprung keine kausale
Erklärung benötigt. Er ist eine mathematisch unvermeidliche Folge der Tatsache, dass Glück bei dem Ergebnis des ersten Sprungs eine Rolle spielte. Kein sehr befriedigendes Fazit – uns allen wäre eine kausale Erklärung lieber –, aber mehr hat es damit nicht auf sich.

Regression verstehen
    Das Phänomen der Regression ist, ganz gleich, ob es unbemerkt bleibt oder falsch erklärt wird, dem menschlichen Geist fremd. Tatsächlich so fremd, dass es erst 200 Jahre nach der Erfindung der Gravitationstheorie und der Differenzialrechnung erstmals entdeckt und verstanden wurde. Außerdem bedurfte es eines der klügsten Köpfe Großbritanniens im 19. Jahrhundert, um das Phänomen zu verstehen, und dies gelang ihm nur mit großer Mühe.
    Sir Francis Galton, ein Halbcousin von Charles Darwin und ein berühmter Universalgelehrter, entdeckte die Regression zum Mittelwert und gab ihr ihren Namen. Man spürt den Nervenkitzel des Entdeckers in einem Artikel, den er 1886 unter dem Titel »Regression towards Mediocrity in Hereditary Stature« (»Regression zum Mittelmaß beim hereditären Wuchs«) veröffentlichte, wo er über Größenmessungen an aufeinanderfolgenden Generationen von Samen und über Vergleiche zwischen der Körpergröße von Kindern und der ihrer Eltern berichtete. Über seine Studien an Samen schreibt er:
    Sie erbrachten Ergebnisse, die bemerkenswert zu sein schienen, und ich benutzte sie als Grundlage einer Vorlesung an der Royal Institution am 9. Februar 1877. Diese Experimente ergaben, dass die Nachkommen hinsichtlich der Größe ihren Elternsamen im Allgemeinen nicht ähnelten, sondern immer zum Mittelmaß tendierten – kleiner als die Eltern waren, wenn die Eltern groß waren; größer als die Eltern waren, wenn die Eltern sehr klein waren … Die Experimente zeigten des Weiteren, dass die mittlere Regression der Filialgeneration zum Mittelmaß direkt proportional zur Abweichung der Parentalgeneration vom Mittelmaß gewesen ist.
    Galton erwartete offensichtlich, dass seine gelehrten Zuhörer bei der Royal Institution – der ältesten unabhängigen Forschungsgesellschaft der Welt – von seiner »bemerkenswerten Beobachtung« genauso überrascht wären, wie er es gewesen war. Das eigentlich Bemerkenswerte ist, dass er von einer statistischen
Regelmäßigkeit überrascht war, die genauso weit verbreitet ist wie die Luft, die wir atmen. Regressionseffekte sind allgegenwärtig, aber wir erkennen sie nicht als solche. Obwohl für jedermann sichtbar, bleiben sie unerkannt. Galton brauchte Jahre, um von seiner Entdeckung der Größenregression in der Tochtergeneration zu dem allgemeinen Konzept zu gelangen, dass es zwangsläufig zu einer Regression kommt, wenn die Korrelation zwischen zwei Messgrößen nicht perfekt ist, und er brauchte die Hilfe der hervorragendsten Statistiker seiner Zeit, um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen. 1
    Eine der Hürden, die Galton überwinden musste, war das Problem der Messung der Regression zwischen Variablen, die auf verschiedenen Skalen gemessen werden, wie etwa das Körpergewicht und die Fähigkeit, Klavier zu spielen. Dies erreicht man dadurch, dass man die statistische Gesamtheit als Standardbezugsgröße verwendet. Nehmen wir an, das Gewicht und die Fähigkeit, Klavier zu spielen, seien für hundert Kinder in allen Klassenstufen einer

Weitere Kostenlose Bücher