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Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition)

Titel: Schnelles Denken, langsames Denken (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Kahneman
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zufällige Schwankungen in der Qualität der Leistung zurückzuführen war. Verständlicherweise lobte er einen Kadetten nur dann, wenn dieser eine weit überdurchschnittliche Leistung
brachte. Aber der Kadett hatte bei der konkreten Übung vermutlich einfach nur Glück, und seine Leistung würde sich beim nächsten Mal wahrscheinlich verschlechtern, unabhängig davon, ob er gelobt wurde oder nicht. In ähnlicher Weise würde der Ausbilder den Kadetten nur dann über Funk anherrschen, wenn dieser eine ungewöhnlich schlechte Leistung zeigte, die sich unabhängig von dem, was der Ausbilder tat, wahrscheinlich verbessern würde. Der Ausbilder hatte an die zwangsläufigen Schwankungen eines zufallsabhängigen Prozesses eine kausale Interpretation angefügt.
    Die Kritik verlangte nach einer Erwiderung, aber eine Lektion in der Algebra von Vorhersagen würde nicht begeistert aufgenommen werden. Stattdessen zeichnete ich mit Kreide ein Ziel auf den Boden. Ich bat jeden anwesenden Offizier, sich mit dem Rücken zum Ziel aufzustellen und direkt hintereinander zwei Münzen daraufzuwerfen, ohne sich danach umzusehen. Wir maßen die Entfernungen vom Ziel und schrieben die beiden Ergebnisse jedes Teilnehmers an die Tafel. Dann schrieben wir eine weitere Liste, in der wir die Ergebnisse nach der Treffgenauigkeit ordneten – von der besten zur schlechtesten Leistung beim ersten Versuch. Es war offensichtlich, dass die meisten (aber nicht alle) derjenigen, die beim ersten Mal am besten abgeschnitten hatten, beim zweiten Versuch schlechtere Ergebnisse erzielten und dass diejenigen, die beim ersten Versuch eine schwache Leistung zeigten, sich im Allgemeinen verbesserten. Ich wies die Ausbilder darauf hin, dass das, was Sie an der Tafel sahen, mit dem übereinstimmte, was wir über die Leistung bei den Flugmanövern bei aufeinanderfolgenden Trainingsdurchläufen gehört hatten: Auf eine schwache Leistung folgte in der Regel eine Verbesserung und auf eine gute Leistung eine Verschlechterung, ohne dass dabei Lob oder Tadel die geringste Rolle gespielt hätten.
    An jenem Tag wurde mir klar, dass die Fluglehrer sich von einer fatalen Kontingenz täuschen ließen: Weil sie Kadetten rügten, wenn diese eine schlechte Leistung erbrachten, wurden sie zumeist mit einer anschließenden Verbesserung belohnt, selbst wenn der Tadel faktisch völlig wirkungslos blieb. Aber diese leidige kognitive Verzerrung betrifft nicht nur die Ausbilder. Ich war zufällig auf eine weitreichende Tatsache der menschlichen Existenz gestoßen: Das Alltagsleben liefert uns verzerrte Feedbacks. Weil wir dazu tendieren, Menschen, die uns gefällig sind, freundlich zu behandeln, während wir zu denen, die es nicht sind, gemein sind, werden wir aus statistischen Gründen dafür bestraft, nett zu sein, und dafür belohnt, gehässig zu sein.

Talent und Glück
    Vor ein paar Jahren bat John Brockman, der Herausgeber des Online-Magazins Edge , eine Reihe von Wissenschaftlern, ihre »Lieblingsgleichung« zu nennen. Ich nannte ihm die folgenden:
    Erfolg
= Talent + Glück
Großer Erfolg
= ein wenig mehr Talent + viel Glück
    Die wenig überraschende Ansicht, dass Glück oftmals zu Erfolg beiträgt, hat überraschende Konsequenzen, wenn wir sie auf die ersten beiden Tage eines hochkarätigen Golfturniers anwenden. Der Einfachheit halber wollen wir annehmen, dass an beiden Tagen der durchschnittliche Score der Wettbewerber bei einem Par von 72 lag. Wir konzentrieren uns auf einen Spieler, der am ersten Tag sehr gut spielte und mit einem Score von 66 abschloss. Was sagt uns dieser hervorragende Score? Die Schlussfolgerung drängt sich auf, dass der Golfspieler talentierter ist als der durchschnittliche Turnierteilnehmer. Die Erfolgsformel deutet darauf hin, dass ein anderer Schluss genauso gerechtfertigt ist: Der Golfer, der am ersten Tag so gut spielte, hatte an diesem Tag einfach überdurchschnittlich viel Glück. Wenn man annimmt, dass sowohl Begabung als auch Glück zum Erfolg beitragen, ist die Schlussfolgerung, dass der erfolgreiche Golfer Glück hatte, genauso berechtigt wie die, dass er begabt ist. Aus dem gleichen Grund haben wir bei einem Spieler, der am selben Tag einen Score von fünf über Par spielte, Grund zu der Schlussfolgerung, dass er eher schwach ist und einen schlechten Tag hatte. Wir wissen natürlich, dass keiner dieser beiden Schlüsse zweifellos zutreffend ist. Es ist durchaus möglich, dass der Spieler mit einem Score von 77 sehr talentiert ist, aber

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